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Seid umschlungen – Festivalwochenende Nummer fünf

15. Sep. 2015

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Michael Kneffel

Die vergangenen Tage hatten es in sich. Fünftes Wochenende – fünf Premieren.  Darunter Wagners „Rheingold“, inszeniert von Ruhrtriennale-Intendant Johan Simons und musikalisch geleitet von Ausnahmedirigent Teodor Currentzis. Außerdem haben die drei Masterclass-Gruppen ihre „Unter Welten“-Projekte in Essen, Oberhausen und Mülheim vorgestellt und auch die Nachwuchskünstler von Mit Ohne Alles präsentierten das Ergebnis ihrer Suche nach Herkunft und Ankunft.

Im Juni 2015 trafen sich junge Menschen aus dem Ruhrgebiet, die ehemaligen Juroren der Festivaljurys von 2012 bis 2014, sowie frisch nach Deutschland eingewanderte und asylsuchende Jugendliche, um die kreative Kraft der Diversität zu nutzen, und um aus Schillers Ausruf „Seid umschlungen, Millionen!“ Fragen zu formulieren. Wer ist mit diesen Millionen gemeint und was bedeutet es, umschlungen zu sein?

© Stephan Glagla

Gemeinsam mit Darren O’Donnell, Gründer des kanadischen Künstlerkollektivs Mammalian Diving Reflex, suchten sie nach Antworten auf diese Fragen. Das Ergebnis war am Samstag und Sonntag bei PACT Zollverein zu erleben. Voller Energie, Witz und ohne Hemmungen nahmen die TeilnehmerInnen das Publikum mit auf ihre Suche, erzählten aber auch von Ängsten, Konflikten und neu gewonnenen Freundschaften.

Nach drei Wochen intensiver Proben wurden die Projekte der Masterclass im Rahmen der Campustriennale am Casa/Schauspiel Essen, am Theater Oberhausen sowie im Ringlockschuppen Ruhr/Mülheim gezeigt.  

© Christoph Sebastian

Das Jens Maurits Orchestra beschäftigte sich in „Triggers and Thresholds – THE BLOGPERA“ mit der Frage, warum wir Musik machen und sammelte alle Informationen, von Interviews mit WissenschaftlerInnen bis zu mythischen Erzählungen, in einem Blog. Das Publikum entschied nun über die Dramaturgie des Abends, da es selbst über die Reihenfolge der Präsentation einiger Blogbeiträge entscheiden konnte, die dann auf der Bühne mit Kompositionen für Schlagzeug, Piano und Endlostonbandorgel ergänzt wurden. Zum Abschluss, überzeugt von den Vorteilen der Endorphinausschüttung beim Singen, stieg das Publikum lauthals in eine Karaoke von „Only you“ ein.

© Christoph Sebastian

Im Malersaal des Theater Oberhausen ging es wesentlich düsterer zu. Hier hatte sich der Regisseur Johannes Ender für „The Hilariously, Hysterically, Horribly Funny Demons of Fleet Street“ mit Tod und Lachen beschäftigt. Jasper Diedrichsen und Björn Meyer spielten sich durch verschiedenste Genres, von Vampirgeschichten, über Splattermorde bis zu einem Parforceritt durch die schönsten Morde der Weltgeschichte, die das Publikum Tränen lachen und vor Ekel schaudern ließen.

© Christoph Sebastian

Zum Abschluss im Ringlockschuppen Ruhr zeigte das Theaterkollektiv „Combina“, wie ein spannendes Theaterprojekt über tausende Kilometer Distanz hinweg entstehen kann. Die eine Hälfte der Truppe aus Deutschland – die andere aus Israel. Heraus kam eine Auseinandersetzung mit Bertolt Brechts „Messingkauf“, in der die jungen SchauspielerInnen mit gekonnter Ironie kritische politische und gesellschaftliche Themen wie Antisemitismus behandelten.

© Michael Kneffel

Mit dem Rheingold feierte am Samstagabend Johan Simons‘ zweite Ruhrtriennale-Produktion in der Jahrhunderthalle Bochum Premiere – ein weiterer Publikumserfolg nach Accattone. Die gewaltige Dynamik des Permer Orchesters MusicAeterna unter der Leitung von Drigent Teodor Currentzis wird ergänzt durch eine elektronische Klanginstallation des finnischen Musikers Mika Vainio. Bühnenbild und Inszenierung (statt Gold schwarze Kohle, statt Walhalla eine Andeutung der Villa Hügel, einst Essener Wohnsitz der Krupp-Familie) lassen Wagners Revolutionsgedanken vor dem Hintergrund der Industrie- und Arbeitergeschichte des Ruhrgebiets neu aufleben, sodass seine Kapitalismuskritik aktueller denn je scheint. Gemäß dem Ruhrtriennale-Leitmotiv „Seid umschlungen“ haben erneut motivierte StatistInnen aus der Region zum Gelingen einer diesjährigen Produktion beigetragen. Denn diese sitzen, so wie auch das Orchester, mit auf der Bühne und schaffen damit ein Bindeglied zwischen KünstlernInnen und Publikum.

© Michael Kneffel

Wer es nicht mehr zum Rheingold schafft, aber gern Teodor Currentzis und MusicAeterna live bei der Ruhrtriennale erleben möchte, hat dazu noch am 19. September beim Sinfoniekonzert in der Jahrhunderthalle Bochum Gelegenheit.

© Edi Szekely

Das Werkstattgespräch am Sonntagmorgen stellte einen weiteren musikalischen Revolutionär in den Mittelpunkt: Luigi Nono, dessen „Prometeo“ noch über das ganze Wochenende in der Kraftzentrale des Landschaftspark Duisburg-Nord zu hören war und ein musikalisches Kontrastprogramm zum bombastischen Wagner bot. In einem sehr persönlichen Gespräch mit Moderator Nicolas Tribes betonten André Richard und Ingo Metzmacher, die Nono selbst kennenlernten: Prometeo sei kein Musiktheater, kein visuelles Erlebnis – sondern vielmehr eine „Tragedia dell'ascolto“ (Tragödie des Hörens). Hierbei wird unser routinierter Konzertbesuch in Frage gestellt: „Wir möchten Musik von vorne hören – aber das funktioniert nicht“, so Richard. Damit ist Prometeo eine Erfahrung für alle Sinne, und insbesondere für unser Ohr, mit dem wir in der Lage sind, Geräusche 360° um uns herum zu lokalisieren.

© Peter Jacques/Urbane Künste Ruhr

Am Sonntag konnte man außerdem von 8-23 Uhr die letzte Gelegenheit nutzen, um die Installation NOMANSLANDING zu begehen. Entsprechend war der Andrang groß. Doch die Besucher warteten geduldig an beiden Eingängen, um diese besondere sinnliche Grenzerfahrung im ehemaligen Duisburger Eisenbahnhafen zu machen. Für die Installation heißt die nächste Station nun Glasgow. Gute Reise!

© Armin Smailovic

Auch das Schauspiel „Liebe. Trilogie meiner Familie 1“ in der Gießhalle am Landschaftspark Duisburg-Nord ging am Wochenende in den Endspurt. Doch Luk Perceval und das Thalia-Ensemble kommen im nächsten Jahr und 2017 wieder zur Ruhrtriennale, sodass die Besucher sich auf weitere Geschichten basierend auf Émile Zolas „Rougon-Macquart“-Zyklus freuen können.