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Ein Tag als Komparsin bei der Ruhrtriennale

27. Aug. 2015

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Christiane Reichert war Komparsin bei den Dreharbeiten für Julian Rosefeldts Filminstallation "In the Land of Drought" auf der Halde Haniel am 28. Juni. Sie berichtet von einem ereignisreichen Tag mit vielen spannenden Eindrücken:

9:21 Uhr – Wo bin ich hier? Treffpunkt für den Dreh ist der Besucherparkplatz der Halde Haniel in Bottrop. Habe die Adresse ins Navi eingegeben, aber jetzt stehe ich hier mitten im Wohngebiet. Keine Leute auf der Straße. Hilfe, ich bin verloren! Ein freundlicher Familienvater verlässt gerade sein Haus. Das ist meine Chance! Ich spreche ihn an. Ah, einfach bis zur Ampel, dann links, immer geradeaus, über die Metallbrücke, wieder links und dann bin ich da. Gut. Los geht’s! Treffpunkt ist um 9:30 Uhr – das schaffe ich.

9:31 Uhr – Ich bin da. Und nicht alleine. Menschen drängen sich um einen kleinen Anmeldeschalter. 500 sind es noch nicht ganz. Aber 200 sicher. Muss ich mich auch anstellen? Wie lange dauert das? Die Sonne brennt. Das wird heiß heute.
Ich mache in der Menge ein paar bekannte Gesichter aus. Komparserie-Kollegen. Nein, wir müssen uns nicht anstellen. Man kennt uns. Jeder von uns wird als „Gruppenführer“ agieren und sich um ca. 20 Komparsen kümmern. Auf geht’s!

9:51 Uhr – Ich besteige mit „meiner“ Gruppe den Bus hinauf zur Halde Haniel. Alle haben Fragen über den Ablauf. Als „Gruppenführerin“ fühle ich mich wichtig und plappere einfach drauflos. Sie hängen an meinen Lippen. Dann Ankunft an der Halde Haniel. Das mit der Autorität hat sich erledigt, nachdem ich im Überschwang des Erzählens meinen Kaffeebecher über mein Oberteil geschüttet habe. Immerhin – wir lachen gemeinsam. Das schweißt zusammen. Und wir haben jetzt einen Namen – wir sind die „Kaffeegruppe“.

10:13 Uhr – Kostümausgabe. Jeder bekommt so einen weißen Einmal-Overall mit Kapuze, weiße Überschuhe und eine weiße Atemmaske. Unsere Arbeitskleidung für heute. Jetzt weiß ich, warum in der Anweisung stand, man solle helle Kleidung anziehen: Die Overalls sind quasi durchsichtig. Und man schwitzt darin. Sehr. Die Sonne brennt. Das wird definitiv heiß heute.

10:31 Uhr – Jemand drückt mir ein Walkie-Talkie in die Hand. Damit wird beim Dreh kommuniziert. Ich werde Anweisungen von der Regie bekommen und diese dann am meine Gruppe weitergeben. Fühlt sich ein bisschen an wie bei James Bond. Die „Kaffeegruppe“ freundet sich an. Man hilft sich beim Anziehen, versorgt sich gegenseitig mit Wasser. Wir sitzen zusammen in einem schattigen Eckchen. Alle sind gespannt, wie es weitergeht. Zeltlagerstimmung.

11:03 Uhr – Einweisung im Cateringzelt. Habe im Vorfeld natürlich den Videokünstler Julian Rosefeldt gegoogelt. Stellt in New York aus. Seine Werke waren in Hollywoodfilmen zu sehen. Die Spannung steigt. Und dann kommt er ins Cateringzelt. Was?! Das ist er?! Dieser nette, zurückhaltende Typ mit der Baseballcap, der so leise spricht? Ich dachte immer, Künstler sind exaltiert und ein bisschen verrückt. Erleichterung. Nach dem Briefing wandern wir los hoch auf die Halde und sammeln uns an einem Kraterrand. Die Gruppen werden über das Gelände verteilt. Letzte Anweisung: Nicht zu der Drohnenkamera schauen, die uns gleich von oben filmen wird.

11:30 Uhr – Drehstart. Action.

11:31 Uhr – Die Drohnenkamera beginnt zu fliegen. Hört sich an wie ein Hornissenschwarm oder ein Schwarm von Modellhubschraubern. Alle schauen hin.

© Ruhrtriennale

11:32 Uhr – Abbruch. Und nochmal: Nicht zu der Drohnenkamera schauen!

11:46 Uhr – Die erste Szene ist geschafft. Alles zurück auf Anfang. Nochmal das Ganze. Die ältere Dame neben mir versteht die Welt nicht mehr: „Aber wir waren doch gut – warum müssen wir das wiederholen?“ Ich murmle etwas von „ist beim Film so, da werden immer mehrere Takes gemacht“, aber sie sieht mich nur völlig fassungslos an. Das könnte ein langer Tag werden...

12:53 Uhr – Es zieht sich. Die ersten Ausfälle bahnen sich an. Die Kräfte schwinden. Jemand bringt uns Wasser und neue Überschuhe. So mancher hat seine auf dem Weg über die erdige Haldenlandschaft verloren. Hinsetzen. Zigarette rauchen. Bisschen plaudern. Trinken. Trinken. Trinken. Die Sonne brennt. Ansage vom Regisseur: Nur noch dreimal das Ganze. Halleluja! Ich bin jetzt schon k.o. Der ältere Herr neben mir strahlt und spurtet auf seine Position.

14:01 Uhr – Mittagspause. Motiviert, flott und fröhlich sind wir vor drei Stunden zur Halde hinaufgelaufen. Verschwitzt und k.o. schlendern wir nun hinab. Ab ins Cateringzelt. Suppe und Eintopf. Ah, es beginnt zu regnen. Erfrischend.

© Ruhrtriennale

15:03 Uhr – Mit dem Bus zu einem anderen Teil der Halde Haniel. Aussteigen. Und jetzt quer über die Halden-Landschaft marschieren. Es nieselt. Erfrischt sind wir, aber die Nässe beginnt zu nerven. Meine Schuhe weichen durch.  Ich bin genervt. Und das alles für die Kunst? Was ist so toll an 250 Leuten in weißen Anzügen auf einer matschigen Halde? Ich drehe mich um... Ooooooookaaaaayyyy – jetzt weiß ich, warum wir das tun. All die weißen Gestalten in dieser verlassenen, fast Mond-ähnlichen Szenerie. Gigantisch. In meinem Bauch kribbelt es. Ich bin hier Teil von etwas ganz Großem. Freude.

15:38 Uhr – Drehstart Nummer zwei. Die ganze Halde entlang laufen. Und schön die Abstände halten. Action.

15:41 Uhr – Abbruch. Es nieselt. Die Feuchtigkeit ist nicht gut für die Kamera. Drehstop. Wo kann ich mich hinsetzen ohne meinen Overall einzusauen? Erstmal eine rauchen.
Es nieselt immer wieder und die Kamera muss immer wieder pausieren. Wir unterhalten uns gegenseitig mit schlechten Witzen. Die Funkdisziplin schwindet auch. Wir erheitern uns gegenseitig mit Selbstgedichtetem „Bitte liebe Drohne, flieg – weil ich sonst Pimpernellen krieg'.“

16:43 Uhr – Der Nieselregen hört auf. So. Einmal noch. Es wird doch nur noch einmal sein, oder? Die Drohne fliegt. Wir laufen los. Jetzt bloß nicht stolpern. Der Feierabend naht.

17:37 Uhr – Drehschluss. Alle klatschen. Ein letztes Gruppenbild. Alle jubeln. Ich stinke. Aber jetzt einfach gehen – ich will hier nicht weg! 250 Leute für einen Nachmittag zusammengewürfelt, nette Gespräche, nette Bekanntschaften – jetzt trennen sich unsere Wege wieder. Irgendwie absurd. Adieu „Kaffeegruppe“! Mit dem Shuttlebus runter von der Halde und zurück zum Sammelplatz.  Ich sitze wieder im Auto. Eine Studentin fährt mit. Sie ist etwas überdreht und plappert fröhlich über dies und das. Ich kann nicht antworten, bin zu voll mit Eindrücken und Bildern, zu k.o., zu verschwitzt, zu glücklich und überhaupt.

19:17 Uhr – Endlich zuhause. Ich liege in der Badewanne. Mein Mann kommt nach Hause. „Und? Wie war es?“ „Verrückt“ sage ich „und anstrengend und heiß und nervig und schwitzig und toll. Es war einfach unbeschreiblich toll.“