Ruhrtriennale trauert um Gerard Mortier

09 März 2014

Die Ruhrtriennale trauert um ihren Gründungsintendanten Gerard Mortier. Von 2002-2004 leitete Mortier den ersten Zyklus der Ruhrtriennale und setzte international Maßstäbe. Mit seinem zukunftsweisenden Konzept und einem herausragenden Programm etablierte er das Festival in den "Kathedralen des Industriezeitalters" und gab der Ruhrtriennale ihr unverwechselbares Gesicht.

Gerard Mortier stellte in den "Montagehallen für die Kunst" im Ruhrgebiet Kreationen ins Zentrum – Produktionen, die spartenübergreifend den Dialog mit ihren Aufführungsorten suchen: Schauspiel, Oper und Tanz verbanden sich mit innovativen Entwicklungen der bildenden Kunst, der Pop- und Konzertmusik. Beispielhaft standen dafür gefeierte Aufführungen wie Sentimenti, Saint Francois d’Assise, Die Zauberflöte, Wolf oder die Reihe Century of Song.

Als prägender Erneuerer der europäischen Opern- und Konzertlandschaft arbeitete er u.a. in Brüssel, Salzburg, Paris und zuletzt in Madrid. Die Ruhrtriennale verliert mit seinem Tod einen ihrer größten Förderer, der ihr bis zuletzt eng verbunden blieb.

Gerard Mortier, der Gründungsintendant der Ruhrtriennale, ist am Samstag, dem 8. März 2014 im Alter von 70 Jahren gestorben.

Stimmen zum Tod von Gerard Mortier:

Heiner Goebbels, Künstlerischer Leiter der Ruhrtriennale:
"Gerard Mortier hat es mit den künstlerischen Impulsen, die von seiner Arbeit als Kurator und Intendant ausgingen, wie kaum ein anderer möglich gemacht, die Gattung Oper anders zu denken, als man sie zu kennen glaubt. Er hat das Musiktheater nicht nur mit neuen Konstellationen und den bildenden Künsten konfrontiert, sondern auch den Inszenierungen des Opern-Repertoires zur Zeitgenossenschaft und damit zu einer Zukunft verholfen. Gerne habe ich an viele seiner Initiativen angeknüpft, mit denen er die Ruhrtriennale aufgebaut hat. Ich freue mich sehr, daß ich in den letzten Jahren die Gelegenheit hatte, ihn auch persönlich kennenzulernen. Sein großes Interesse an unseren Produktionen und vor allem seine spontane Bereitschaft, als Schirmherr das No Education-Programm zu unterstützen, war für unsere Arbeit sehr wichtig. Auch dafür danken wir ihm."

Ministerin Ute Schäfer MdL, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport
des Landes Nordrhein-Westfalen, Aufsichtsratsvorsitzende der Kultur Ruhr GmbH:
"Mit Gerard Mortier verliert Nordrhein-Westfalen einen großen Freund und die Welt der Kunst eine ihrer ganz großen Persönlichkeiten.
Als Gründungsintendant hat er der Ruhrtriennale in den Jahren 2002-2004 ein unverwechselbares Gesicht gegeben und so den künstlerischen Grundstein für ihren langfristigen Erfolg gelegt. Sein Credo war es, für die „Kathedralen der Industriekultur" neue Formen des Theaters und des Musiktheaters zu finden, die nur dort verwirklicht werden konnten."

Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, des. Intendant der Ruhrtriennale 2015-17, Regisseur:
"Ich lernte Gerard Mortier bei der Ruhrtriennale kennen. Er war Dramaturg bei 'Sentimenti'. Gleichzeitig leitete er als Intendant das Festival und zwischendurch verhandelte er über eine Zukunft als großer Chef der Pariser Oper. Dies alles an einem Tag. Abends gingen wir dann herrlich dinieren und träumten bei einer Flasche Margaux. Er war von Kenntnis und Gefühl durchdrungen. Ein humanistisches Ideal. Immer wach. Immer bereit für den Kampf. Wie viele junge Leute hat er ausgebildet und inspiriert! Sie werden bei jeder künstlerischen Entscheidung denken: was würde Gerard davon halten?
Bei den Endproben von 'Sentimenti' saß er oft neben mir und kommentierte die Inszenierung, die Kostüme, das Licht, die Musik... Jede seiner Bemerkungen war mit Bedeutung verknüpft und fast immer hatte er Recht. Einige Tage vor der Premiere, war das auf einmal unerträglich für mich. Ich empörte mich. Am Schluss von ‚Sentimenti' gab es eine Sterbensszene, die ich pontifikal in die Mitte der Bühne inszeniert hatte.
Gerard Mortier: 'Johan, Leute sterben in einer Ecke, abgewendet vom Publikum.'
Ich: 'Nein, Gerard, ich will es so. In der Mitte.'
Fünf Endproben lang blieb er bei seinem Standpunkt und wiederholte er den immer wieder. Bei dem letzten Try-out gab er auf. Gerard Mortier: 'Ich finde es nicht gut, aber Du bist der Regisseur. Schade, diese Sterbensszene in der Mitte der Bühne.'
Kurz vor der Premiere bat ich die Schauspieler, die Sterbensszene in der Ecke zu spielen, abgewendet und still... und zutiefst rührend.
Gerard, lieber Freund, am diesen Premierentag konnte ich es zugeben: Du hattest Recht. Sterben ist still und kaum sichtbar. Aber aus meinem Leben, meinem Werk und meinen Gedanken wirst Du nie verschwinden."

Jürgen Flimm, Intendant der Staatsoper Unter den Linden, Intendant der Ruhrtriennale 2005-2007, Regisseur:
"Es ist wie eine Binsenweisheit, aber tatsächlich gäbe es die Ruhrtriennale ohne Gérard Mortier nicht. Er hat sicherlich Verdienste gehabt, um Salzburg und anderes, sein aber wichtigster, großer Erfolg sind eben diese Hallen und wie man sie bespielen kann und muss. Er hat die Kreationen erfunden und andere neue Formen des Musiktheaters erarbeitet. Wir haben alle von ihm gelernt.
Chapeau, Gerard."

Willy Decker, Intendant der Ruhrtriennale 2009-2011, Regisseur:
"Niemand hat das Musiktheater des 20. und auch des 21. Jahrhunderts nachhaltiger beeinflusst und verändert als Gerard Mortier. Er war nicht nur ein wahrhafter Visionär, der immer wieder Neues gedacht und Altes in Frage gestellt hat, sondern er war einer der ganz wenigen, die ihre Vision auch in die Tat umsetzten. So hat er auf der Landkarte des Europäischen Theaters Grenzen verschoben, neu definiert und endlos viele Türen ins Unbekannte aufgestoßen. Von Brüssel über Salzburg bis zur Ruhrtriennale, auch in Paris und Madrid, hat er immer wieder und unermüdlich Neuland betreten. Wir, die Theaterschaffenden, haben ihm unendlich viel zu verdanken und die Europäische Kultur verliert mit ihm einen ihrer bedeutendsten Denker und Gestalter. Für mich war er vor allem ein großer Europäer, der den Gedanken einer Europäischen Kultur verkörpert und gelebt hat."

Dr. Michael Vesper, Generaldirektor Deutscher Olympischer Sportbund, Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale e.V.:
"Gerard Mortier hat für die Entwicklung der Kultur in Europa Großartiges geleistet. Das gilt für Salzburg, Paris, Madrid und Brüssel, das gilt aber ganz besonders auch für das Ruhrgebiet und Nordrhein-Westfalen. Er hatte zu Beginn des Jahrhunderts den Mut und die Vision, etwas ganz Neues zu wagen an ganz ungewöhnlichen Orten, geprägt von der einzigartigen Industriekultur des Ruhrgebiets. Dafür hat er ohne Reue und mit verschmitzter Freude die Salzburger Festspiele verlassen, hat sich sozusagen aufgemacht von der Champions League in die Gründung einer neuen Liga - mit allen Risiken und Chancen.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich als damaliger Kulturminister mit dem damaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement sprach, um ihn für dieses Vorhaben und insbesondere dessen Finanzierung aus zusätzlichen Mitteln, ohne anderen Kulturträgern etwas wegzunehmen, zu gewinnen. Es war der Name Gerard Mortier, der letztlich den positiven Ausschlag gab. Mit dem Committment dieser Persönlichkeit war klar, dass es hier um den Anspruch ging, etwas Besonderes entstehen zu lassen, eine nachhaltige Bereicherung der nordrhein-westfälischen Kulturlandschaft. Ohne Gerard Mortier, seine provokante Kreativität, seine listige, mit Charme gepaarte Entschlossenheit, seine Vernetzung mit exzellenten Künstlern innerhalb und außerhalb der Region hätte es die Ruhrtriennale nicht gegeben.
Und er blieb ihr auch nach seiner dreijährigen Gründungsintendanz eng verbunden. Bis zuletzt nahm er Anteil, riet, freute sich. Gerard Mortier - der Doktor, wie ihn viele nannten - konnte sich und andere begeistern, mit leiser Stimme und lautem Herzen. Er konnte aber auch ätzend kritisieren, wenn er es für notwendig hielt. Stets hatte er einen Standpunkt, den er gekonnt zu vertreten wusste, ohne borniert zu sein. Man durfte ihm durchaus widersprechen, aber dann brauchte man Ausdauer und gute Argumente.
Er hatte noch große Pläne, als ihn die tückische Krankheit in den Griff nahm. Wie immer, kämpfte er. Diesen Kampf verlor er. Sein Erbe aber lebt - überall da, wo er wirkte, und weit darüber hinaus. Wir werden ihn, seine Arbeit, seine Gestik, sein überwältigendes Lächeln, seinen gelegentlichen Zorn und seine oft kindliche Freude am Gelungenen nicht vergessen."