Charles Ives

Das Schaffen von Charles Ives (1874 - 1954), einem der großen Pioniere der Neuen Musik, ist unter ungewöhnlichen Umständen entstanden. Denn anders als die meisten anderen Komponisten ging Ives höchst erfolgreich einem Beruf nach, der überhaupt nichts mit Musik zu tun hatte, und komponierte im Wesentlichen in seiner Freizeit. Charles Ives wurde am 20. Oktober 1874 in Danbury, einer etwa 100 Kilometer nordöstlich von New York gelegenen Kleinstadt in Connecticut, geboren und ist damit nur wenige Wochen jünger als Arnold Schönberg. Seinen Musikunterricht erhielt er vom Vater, der eine besondere Ader für ungewöhnliche musikalische Experimente hatte und damit prägenden Einfluss auf die Entwicklung seines Sohnes nahm. Schon mit 14 Jahren konnte sich Ives als Organist der örtlichen Gemeinde betätigen. Als Heranwachsender empfing Ives vielfältige musikalische Eindrücke von den Hymnen des Gottesdienstes über die verbreiteten Lieder Stephen Fosters bis zu Militärmärschen und allerlei populärer Unterhaltungsmusik, die tiefe Spuren in seinem späteren Schaffen hinterlassen haben. Von 1894 an belegte Ives das Studium generale an der Yale Universität, wobei er bei dem klassizistisch orientierten Horatio Parker auch Kompositionsunterricht erhielt. Nach der Beendigung seines Studiums war Ives unschlüssig über seine Zukunft und nahm 1899 eine Stelle in einer New Yorker Lebensversicherung an. Er blieb daneben aber weiter als Organist an großen New Yorker Kirchen tätig. Im Frühjahr 1902 entschloss er sich jedoch dazu, alle kirchenmusikalischen Dienste aufzugeben, um mehr Zeit zum freien Schaffen zu haben. Als sich ihm 1907 die Chance bot, zusammen mit einem Kollegen eine eigene Versicherungsagentur zu gründen, griff Ives zu. Nach desaströsem Beginn entwickelte sich diese Agentur zu einer der erfolgreichsten Versicherungen der Ostküste und verhalf Ives im Laufe der Zeit zu erheblichem Wohlstand. Trotz der Anstrengungen, die der Aufbau der Versicherung mit sich brachte, und obwohl Ives künstlerisch vollständig isoliert war, entstand von 1908 an der wichtigste Teil seines seiner Zeit weit vorausgreifenden Schaffens. Ein wesentliches Charakteristikum seines Stils ist das Zusammenfügen von verschiedenartigen Elementen - das können Melodiefragmente, aber auch ganze Tonsätze sein -, deren Eigengesetzlichkeit strikt gewahrt bleibt. Daraus kann sich die Gleichzeitigkeit und auch der Zusammenprall verschiedener Tonarten, Rhythmen, Taktarten, ja sogar Tempi ergeben, so dass in einigen Werken für einzelne Klanggruppen zusätzliche Dirigenten benötigt werden. Einer Reihe von Sätzen, zu denen auch seine eindrucksvollsten Kompositionen gehören, liegt ein schlagend einfaches Modell zugrunde. Ausgehend von einem leisen Hintergrund verdichtet sich der Tonsatz allmählich, bis schließlich Klanggebilde übereinander getürmt sind, bei denen das Auseinanderhalten einzelner Schichten unmöglich ist und der Klang eine nahezu körperliche Materialität erhält. Ende 1918 forderte die Doppelbelastung als Unternehmer und Künstler seinen Tribut und Ives erlitt einen gesundheitlichen Zusammenbruch. In den folgenden Jahren komponierte er nur wenig, 1927 gab er das Komponieren schließlich ganz auf. Dafür begann Ives nun, mit seinen Werken an die Öffentlichkeit zu gehen. Anfangs ließ er einzelne Stücke im Selbstverlag erscheinen, erste Aufführungen folgten und allmählich stellte sich wachsende Anerkennung ein. 1947 schließlich konnte der lange verstummte Komponist, der sich 1930 aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, den Pulitzer Preis für seine 36 Jahre zuvor beendete 3. Symphonie entgegennehmen. Er starb wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag, am 19. Mai 1954.