RuhrTriennale
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Peter Zadek im Gespräch mit Jürgen Flimm / Ausstellung Zwischen Clownerie und Protest - Der Elefant tanzt

 
Mit:
Peter Zadek, Jürgen Flimm
Vorstellung:
8. Oktober
Beginn:
11:00
Preise:
einheitlich
5 €

In Erinnerung bleibt Billa. Roter Pulli, kurzes Haar, Billa könnte eine Schwester von Zadeks Lulu sein. Oder eine frühe Lola. Sie rennt durch eine norddeutsche Birkenallee. Immer wieder nimmt sie Anlauf, mit dem Kopf voran prescht sie los, jedes Mal nur ein kurzes Stück. Dann pendelt sie sich aus, nimmt wieder Anlauf zu einem kurzen Sprint. Sie liebt Jochen, den Ichelefanten der Titelzeile. Irgendwann sieht man den beiden beim Sex zu auf einer dieser Die-Eltern-sind-weg-wir-machen-Party-Happenings der 60er Jahre.
Der Film Ich bin ein Elefant, Madame ist ein Doppelporträt. Das eine handelt von Deutschland und das andere von Peter Zadek. Was sich in den ersten Szenen noch ausnimmt wie ein klassischer Paukerfilm mit gebohnerten Fluren, schriller Pausenschelle und Pädagogen, die aussehen wie Parteifunktionäre, kippt immer weiter aus der Form, gerät schließlich zu einem wütenden Grafitti über das APO-Deutschland. Gesprochen wird APO-Deutsch, diese seltsam gespreizte Mischung aus akademischem Vokabular und Affektsprache, die auf ›Scheiß Deutschland‹ programmiert war. Erzählt wird die Geschichte eines jugendlichen Partisanen. Vor der Kamera werden immer wieder Gruppen frontal in Stellung gebracht: das Kollegium, die Klasse, eine Kohorte Polizisten, eine Tischgemeinschaft. Zwischen diesen Tableauxszenen sind Bilder der Gegenkulturen geschnitten: die Künstlerkolonie Worpswede, eine Schüler-Party im Pool, eine Straßenschlacht.
Vielleicht wurde alles nur erfunden, Billa, die Birkenallee, ihr scheuer Sex, das ganze endlose Palaver über Individuum und Gesellschaft. Vielleicht setzte Peter Zadek den ganzen Film überhaupt nur ins Werk, um schließlich diese eine Szene zu drehen: Jochen Rull, alias Häuptling Kalter Kaffee, führt auf dem Bremer Marktplatz – diesem bürgerlichen Wohnzimmer par excellence inmitten der Puppenstube Deutschland – einen wilden, ekstatischen Veitstanz auf. Die Kamera erfasst die lückenlose Fassadenreihe Bremer Giebelhäuser, die nicht von ungefähr wirkt wie eine Theaterkulisse. Die aufgestellte Polizeigewalt glotzt ratlos fragend in die Runde. Zu erkennen ist: Man war noch ungeübt im Umgang mit Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Und: Im Theater, aber auch im Leben gibt es zum Sein sowieso keinen anderen Zugang als Spiel und Schein.
Zadek musste sich damals von der linken Kritik harsche Vorwürfe für sein Indianerspiel in der Bremer Innenstadt gefallen lassen. Am Aufstand der Jugend habe ihn nur das Ästhetische, das amüsante, das Pubertär-alberne interessiert und nicht etwa die sozialen Zwänge und Antagonismen. Die Studentenbewegung als Schülerstreich, als Clownerie – das war manchem zu harmlos, zu reaktionär. Doch gerade das hat Zadek empfindlich gereizt. An Oppositionen und Thesen fesselt ihn allein die Fragwürdigkeit. Eine Guppierung, die sich zu formieren beginnt, ist ihm von vorneherein suspekt, »weil man das Komplizierte und Gescheite ausgrenzen muss, um als Kollektiv etwas zu erreichen«. Der Bremer Marktplatz als Schauspielhaus – das war sein Angebot an die deutsche Jugend, deren Selbstmitleid und Jeremiaden er nicht ertragen konnte.
Der Elefant tanzt. Die Verbindung von plakativem Verhalten und feinem Gespür, die öffentliche Existenz als Panzer für eine verletzliche Subjektivität, nölende Gleichgültigkeit im Ton, präzise Sensibilität in der Beobachtung, diese Verbindung wurde zur bestimmenden, durchschlagenden Kraft. Peter Zadek, der Sohn jüdischer Emigranten, sah nach seiner Rückkehr in den 50er Jahren die Bundesrepublik mit den Augen eines Outsiders. Mit dem Blick eines Fremden hat er die politische und ästhetische Kultur des deutschsprachigen Theaters provoziert und entscheidend geprägt.

Die RuhrTriennale widmet dem großen Abenteurer, Provokateur und Erfinder des deutschen Regietheaters ihren Programmschwerpunkt Werk. Der Intendant Peter Zadek ist in die Theatergeschichte eingegangen als ein Impresario der prägnanten Amtszeiten: Bochum (1972 bis 1975), Hamburg (1985 bis 1989), Berlin (1993 bis 1995). Als ein auf allen Feldern künstlerisch agierender Mensch blieb er immer ein Individualist. Bis heute versteht er es, die Fantasie und Diskussionen der Theateröffentlichkeit zu besetzen. Im Frühjahr 2005 gründete er seine eigene unabhängige Theaterproduktionsgesellschaft.

 

Ausstellung
ab 19. August, Jahrhunderthalle Bochum
Eintritt frei, zu Vorstellungszeiten geöffnet

Die Reihe Werk: Peter Zadek wird gefördert von der Stiftung Pro Bochum.