RuhrTriennale
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Böhmen, ein wüstes Land am Meer Eine Lesung in vier Kapiteln

Vorstellung:
3. September
Beginn:
19:00
Vorstellung:
6. September
Beginn:
20:00
Vorstellungen:
24. September, 1. Oktober
Beginn:
19:00
Preise:
Kategorie A
25 €
Kategorie B
20 €
Kategorie C
10 €

Kapitel I, 3. September
Geliebter Bastard

Sven-Eric Bechtolf & Charlotte Schwab lesen aus Shakespeares Schurkenstücken

Kapitel II, 6. September
Suche die verdammten Fragen

Vanessa Redgrave & Armin Mueller-Stahl lesen Texte von Harold Pinter, Heinrich Heine und François Villon in englischer und deutscher Sprache

Kapitel III, 24. September
Venus und Adonis

Jutta Lampe liest aus Shakespeares Vers-Epos

Kapitel IV, 1. Oktober
Devouring Time – Alles verschlingende Zeit
erzählt von den X-PATSYS

Konzept und Aufführung: Barbara Sukowa (vocals), Robert Longo und Jon Kessler (E-Gitarren); mit Anthony Coleman (Keyboards), Anton Fier (Schlagzeug) und Sean Conly (E-Bass).
Barbara Sukowa und Robert Longo werden die Lesung mit Texten von Shakespeare und Gryphius erweitern zu einem Rockkonzert mit Stücken von u.a. Tom Waits, Patsy Cline und Joy Division. Dazu kommen Barabara Sukowa und Robert Longo mit ihrer Rockband X-Patsys, die zuletzt in New York City im berühmten Bowery Ballroom für Furore gesorgt hat. Neben Sukowa und Longo gehört Jon Kessler zur Besetzung. Die beiden international renommierten Künstler Longo und Kessler spielen seit vielen Jahren E-Gitarre in der New Yorker Downtown-Musikszene. Zusammen mit Barbara Sukowa gründeten sie die Band The Patsys, um in erster Linie bekannte Country & Western Songs von Patsy Cline zu interpretieren und mit einem dunklen, dramatischen Sound zu versehen. Komplettiert wird die Band am Sonntag durch den Komponisten, Pianisten und Produzenten Anthony Coleman als musikalischem Leiter, den Schlagzeuger Anton Fier (Lounge Lizards, Golden Palominos) sowie Sean Conly am Bass.

 

Berlin, Bahnhof Zoo und von dort aus ein paar Minuten zu Fuß, in einem Gartenhaus. Im 2. Stock befindet sich das Arbeitszimmer des berühmten Bühnenbildners Karl-Ernst Herrmann. Stühle, Stehpult, Zeichentisch, Kronleuchter, kein Vorhang, kein Teppich, kein Kaffee. Ein Raum so karg, dass er sich nur zum Arbeiten eignet. »Wir sind doch fertig, oder?« Der Bühnenbildner will das Gespräch beenden. »Da wäre noch die Sache mit Böhmen ... Wussten Sie, dass Böhmen tatsächlich einmal am Meer lag?« »Böhmen!« Der Bühnenbildner versteinert für einen Augenblick. Steht auf. Wirkt plötzlich verzweifelt. »Böhmen! Daran scheitern wir alle. Böhmen auf der Bühne – das ist ja praktisch unmöglich.« Er setzt sich wieder. »Böhmen lag am Meer, tatsächlich?« Pause. Und dann: »Das schreiben Sie nicht. Das lassen Sie weg! Dann ist ja alles hin. Der ganze Zauber! Der ganze Shakespeare!«

Es muss sein: In den Erdbeschreibungen der Renaissance liegt die böhmische Landschaft tatsächlich am Meeresufer. Dabei beziehen sie sich auf das Reich von Böhmenkönig Ottokar II., der sein Land im 13. Jahrhundert durch Heeresmacht und Erblässe zeitweilig bis an die adriatische Küste ausbreiten konnte. Shakespeare hat sich für diese Wortkulisse ungeniert aus der Novelle Pandosto (1588) des Kollegen Robert Greene bedient. Er wollte sein Wintermärchen (1610) schlichtweg mit einem ungewöhnlichen, romantisch anmutenden Schauplatz ausstaffieren. Böhmen ist hier ein Königreich am Meer, in dem Schäfer und Clowns noch mit Feengold um ein friedliches Auskommen schachern. Ein ländliches Reich, in dem wunderbare Zustände herrschen. Hier lässt Shakespeare die neugeborene Königstochter Perdita aufwachsen, fernab von den frostigen Verhältnissen am Hofe Leontes. Dass die Humanisten des 16. Jahrhunderts sich für ihre Geschichte der europäischen Länder auf veraltete Quellen stützen, mag als ein zeitbedingter Lapsus durchgehen. Halten wir fest, dass mit dem Böhmen der Kollegen Shakespeare und Greene keineswegs ein Fantasialand ausgemacht werden sollte, sondern ein gesichertes Gebiet für ungesicherte Existenzen. Der Traum ist aus. Wir träumen weiter.
Im diesjährigen Literaturprogramm der RuhrTriennale lesen Akteure in Träumen und aus möglichen Märchen.