Editorial 2005
Die romantische Idee, dass Kunst und Literatur eine Sprache des Innern seien, lässt Anfang des 19. Jahrhunderts Kräfte und Gesetzmäßigkeiten wirken, die in einem neuen Bezugspunkt zusammenfinden. Dieser liegt nicht mehr in einem Außen, in einem Regelwerk, das von Werturteilen wie ,richtig‘ und ,falsch‘ stabil gehalten wird, sondern im Ich der Autoren und Künstler. Ein neuer Ich-Kult ist die geistige Mitte der romantischen Bewegung, die an keine Epoche geknüpft ist, sondern an die Erfahrung, in einer Zeit zu leben, die durchtobt ist von Umwälzungen politischer und weltanschaulich allergrößter Dimension. Das künstlerische Programm der RuhrTriennale 2005 beschäftigt sich mit der Gleichzeitigkeit von romantischer Innerlichkeit und beginnendem Industriezeitalter. Das Dichten und Denken dieser Epoche sah in der konkreten Arbeit unter Tage eine symbolische Reise an die Angst- und Sehnsuchtsorte des Bewusstseins. „Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht“, schrieb Novalis und leitete daraus einen Richtungswechsel ab: „Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.“ Damit skizzierte er in vagen Umrissen voraus, was die Akteure der Romantik dann ausführten. Der harte, schneller werdende Rhythmus der jungen industriellen Gesellschaft war bald so stark geworden, dass der Ton der Literatur ihn nicht mehr ignorieren konnte. Die RuhrTriennale hat Autoren, Regisseure, Musiker und bildende Künstler eingeladen, eine Zeitreise anzutreten in die Ursprungsgeschichte der Moderne. Ihre Kreationen kreisen um Fundstücke aus dem frühen 19. Jahrhundert: Ein Gedicht, ein Lied, ein Märchen, ein verlassener Raum. Was auch immer in dem Begriff des Romantischen mitschwingt, wichtig ist seine Aufforderung an die Künstler, das Widersprüchliche und Disparate in Versuchen eigener Schöpfung auszuleben. So, dass sich am Ende der Spielzeit das Gesehene, Gehörte und Erlebte auf den poetischen Begriff bringen ließe, in dem der nachromantische, frühmoderne Rilke Introspektion und Entfremdung aufeinanderprallen ließ: „Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.“