Regie Oliver Herrmann Austattung Momme Röhrbein Dramaturgie Thomas Wördehoff, Viktor Schoner Sopran Christine Schäfer Klavier Irwin Gage Autor Oliver Herrmann
Gefördert von der Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen
Preisgruppe A € 40 | B € 10
13jährig war ich nach New York gereist, um dort zur Schule zu gehen. Ich erinnere mich: An einem Nachmittag besuchte ich meine Adoptivmutter, Karin Röhrbein, in ihrem Büro in der UNO. Es war ein kleiner, vollgestellter Raum, die scheinbare Unordnung ein Abbild der Bewohnerin. Ich sah aus dem Fenster zum Fluss, als aufgeregt eine Kollegin hereinkam, ein Telex in ihrer Hand: Ulrike Meinhof hatte sich am Morgen in ihrer Zelle in Stammheim erhängt. "Ulrike Meinhof und Andreas Baader wurden in ihrer Zelle in Stammheim umgebracht", lautete die erste Agenturmeldung von Reuters. Etwa zwölf Jahre später traf ich zum ersten Mal Thomas Brasch.
Wir saßen auf einem Balkon, und Thomas stellte Fragen. Für eine Zeit danach wurden wir Freunde. Wir lebten im selben Haus, Tür an Tür, und immer, wenn wir uns trafen, stellte mir Thomas Fragen. Es waren Fragen, die ich eigentlich nicht hören wollte; Fragen, die mich immer wieder dazu zwangen, eine Arbeit oder eine Liebe von einer anderen, unbequemen Seite zu sehen. Und immer die Frage nach dem Warum. Da war ein Mensch, der sein Herz auf den Tisch legte. Jemand, der alles, was nach bürgerlicher Ruhe schmeckte, verachtete; aber die größte Sehnsucht nach einer Familie hatte, nach einem Sich-aufgehoben-Fühlen. Jahre später verließ ich dieses Haus, wir entfernten uns voneinander, aber die Fragen waren in meinem Kopf geblieben. Kurz nachdem ich im letzten Jahr mit der Arbeit an "Winterreise" begann, starb Thomas Brasch an Herzversagen. Noch einen Monat vorher hatte ich ihn im Krankenhaus besucht, und wir sprachen auch über "Winterreise". Wenn ich jetzt daran denke, wenn ich versuche, mir den Reisenden vorzustellen, denke ich an Thomas Brasch. An Thomas, der die tosende Stille dieser Gesellschaft um ihn herum nie ertragen hatte. An Thomas, der seine Schmerzen und Hoffnungen und Ängste herausgeschrien hat.
Oliver Herrmann
Weitere informationen zum Stück finden Sie im Pressetext.