Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt | © Isabel Machado Rios / Ruhrtriennale 2021

Ziemlich neurotisch, jedenfalls unausgeglichen, von einem Extrem ins andere schwankend, so lässt sich die Beziehung des Menschen zur Natur wohl am besten beschreiben.

Über die Reihe

Einmal, und sei es nur für einen Augenblick, die Trennung überwinden! Mit der Natur verschmelzen, in der Schöpfung, die ihn die meiste Zeit zurückstößt, endgültig aufgehen: Dies bleibt eine ewige und unerfüllte Sehnsucht. Im Traum und im Rausch mag es kurzzeitig gelingen, und natürlich immer wieder in der Literatur, in der Poesie. Dort ist es möglich, mit den Tieren und den Pflanzen zu reden, Teil dieser Gesellschaft und ihrer Geheimnisse zu werden. Doch die Erzählungen dieser Sehnsucht erzählen auch vom Preis, der für diese Rückkehr bezahlt werden muss, die Aufgabe dessen nämlich, was uns erst zu Menschen macht.

Oskar Dähnhardt, dem wir die Naturgeschichtlichen Märchen verdanken, war ein klassischer Philologe aus Kiel, wo er 1870 geboren wurde. Er sammelte und veröffentliche Märchen und Sagen, unter anderem das immer noch geläufige Scherzgedicht Dunkel war’s, der Mond schien helle. Dähnhardt fiel in den Schützengräben bei Ypern, im schrecklichen Jahr 1915.

Die Lyrikern Margaret Walker wurde 1915 im tiefen Süden der Vereinigten Staaten geboren, in Birmingham, Alabama, jenem Ort, der durch seine Rolle in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung berühmt wurde. Walker gehörte zur Chicago Black Renaissance, einer literarischen Bewegung, die für die Emanzipation der Afroamerikanischen Bevölkerung kämpfte. Dreißig Jahre, zwischen 1949 und 1979 war sie Professorin für Literatur an der Jackson State University im Bundesstaat Mississippi. Sie starb 1998.

Publius Ovidius Naso wurde im Jahre 43 in den Abruzzen geboren, unter der Regentschaft von Augustus. Als Dichter ohne Furcht legte er sich mit seinem Herrscher an und wurde nach Tomi ans Schwarze Meer verbannt, von wo Ovid nie zurückkehrte. Mit dem römischen Kaiser haben wir heute nur noch wenig zu tun, aber Ovids Metamorphosen, die Liebeskunst und die Briefe aus der Verbannung werden seit zweitausend Jahren von jeder Generation mit neuer Begeisterung gelesen.

Im Werk des Abü Yahya Zakariya' ibn Muhammad al-Qazwini, einem persischen Arzt, Richter und Dichter aus dem dreizehnten Jahrhundert, erscheint die gesamte Natur als beseeltes Wunder. Noch in der kleinsten Erscheinung, einer Mücke oder einem Fisch, erkennt er die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung. Die Freude und das Staunen über die Vielfalt der Natur bestimmen die Schriften dieses Klassikers.

Die Gedichte T’ao Ch’iens, der im China des vierten Jahrhunderts unserer Zeit lebte, sprechen den Leser auch nach fast zweitausend Jahren so frisch, so unmittelbar an, als hätte er sie eben erst geschrieben. Der Rückzug von seiner Arbeit als Verwaltungsbeamter auf das Landgut seiner Familie verstand der Dichter T’ao Ch’ien dabei ganz im Sinn der Konfuzianischen Lehre. In der Natur und im einfachen Leben suchte er das, was der  Gelehrte in Das Große Lernen fordert: Durch eine Befriedung und Unterweisung des eigenen Geistes schrittweise eine Harmonie zuerst im eigenen Haus, in der Familie, im Dorf und darüber hinaus schließlich des Staates herzustellen.

Von allen Rätseln der Literatur bleibt das von Georg Büchner eines der größten. Ein Revolutionär, ein Flüchtling, ein Arzt, einer, der die Moderne bereits im achtzehnten Jahrhundert lebte. Er starb im Jahre 1837 in Zürich, im Alter von nur dreiundzwanzig Jahren. In seinem kurzen Leben untersuchte er die Natur des Menschen, die politische, die komische und im Lenz die geistige.

Es hat Adalbert Stifters Verbreitung nicht geholfen, dass man seine Literatur zur Epoche des Biedermeiers zählt. Ihn umgibt den Ruch des Harmlosen, des Beschaulichen. Aber seine Idyllen sind brüchig, die Abgründe lauern überall. Im Werk dieses Dichters, der 1805 in Oberplan, einem kleinen Ort in Böhmen geboren wurde und 1868 in Linz verstarb, findet man immer wieder die Aporien der Moderne und die schier ausweglosen Konflikte mit der Natur schon vorgezeichnet.

In ihren Gedichten sucht Ingeborg Bachmann, geboren 1926 in Klagenfurt, gestorben 1973 in Rom, immer wieder das Zwiegespräch mit der Natur. Sie befragt die Erscheinungen, den Himmel, die Sterne, die Luft und die Wälder, ob nach den Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts von ihnen noch eine Rettung zu erhoffen ist, eine Erlösung, oder immerhin ein Trost.

Bettina von Arnim, geboren 1875 in Frankfurt, stammte aus dem Hause der Brentanos, einer weitverzweigten Familie aus der Lombardei. Wie wenig andere Schriftsteller:innen verkörpert sie das romantische Ideal. Mit ihren Büchern erreichte sie ein großes Publikum, und genau so leidenschaftliche wie die Literatur pflegte sie ihre Freundschaften. Sie war bekannt mit der Günderode, mit Goethe und mit Karl Marx, engagierte sich politisch und trat für die Gleichberechtigung der Juden und die Abschaffung der Todesstrafe ein. »Ihre Nähe zur Natur«, schrieb Ricarda Huch über sie, »erfüllt Bettinens Briefe und Tagebücher mit poetischem Zauber und mystischer Weisheit.«

Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt | © Isabel Machado Rios / Ruhrtriennale 2021
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt | © Isabel Machado Rios / Ruhrtriennale 2021
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt
Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt | © Isabel Machado Rios / Ruhrtriennale 2021
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Die Natur des Menschen - Lesung II: Natur und Erlösung, Lesung mit Fritzi Haberlandt | © Isabel Machado Rios / Ruhrtriennale 2021

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