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Ein Stück, ein Satz – „Die stille Kraft“

28. Jul. 2015

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Ruhrtriennale

Den Satz muss ich wohl erst mal übersetzen. Auf Deutsch heißt er so viel wie: „Insgeheim hoffe ich, dass Gott/Allah das wieder aufrichten möge, was niedergedrückt ist, einmal, irgendwann einmal im noch weit entfernten Aufdämmern des Morgenrots der Zukunft.“

Was für ein Satz! Da steckt sehr viel drin. Der Satz stammt aus dem Roman „Die stille Kraft“ von meinem Landsmann Louis Couperus. Der Roman spielt zur Zeit, als die Holländer Indonesien unterworfen und zur Kolonie erklärt hatten. Heute heißt das Land Indonesien, aber damals hieß es Niederländisch-Indien.

Wir zeigen bei uns im Festival eine Schauspieladaption des Romans, die Ivo van Hove inszeniert. Es ist eine fantastische Geschichte, und im Kern geht es darum, dass die westliche Kultur die fernöstliche Kultur unterdrückt und wie diese am Ende zurückschlägt. Der Roman ist hundert Jahre alt, aber der Konflikt ist sehr aktuell.

Der Satz beschwört diesen Kulturkampf fast schon herauf. Die Unterdrücker sollen geschlagen werden, und Gott soll dafür sorgen. – Im Original von Couperus steht das Wort „Gott“. Da ist der Text aus Sicht des Erzählers verfasst. In der Schauspieladaption aber wird den Satz einer der einheimischen Indonesier selbst sagen, und Indonesien ist der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Deshalb „Allah“ statt „Gott“.

Allah solle die Unterdrückten wieder aufrichten… – Wir kennen das seit Jahren aus den Nachrichten: Mit dieser Formel werden Terroranschläge, Mord und Krieg begründet und nicht zuletzt Kämpfer für den „Islamischen Staat“, auch im Ruhrgebiet, angeworben. Und gleichzeitig müssen wir als Westeuropäer uns auch hinterfragen, wie wir auftreten, wenn wir zum Beispiel in Afghanistan oder in den Irak einmarschieren, vielleicht sogar mit guten Absichten, aber doch mit dem Effekt, unsere Kultur und Lebensform als die richtige dort umzusetzen.

Ich finde diesen Zwiespalt sehr spannend. Und ich provoziere auch gern meine Mitarbeiter, wenn ich sage: „Findet ihr denn etwa nicht, dass die westliche Kultur die beste der Welt ist, die fortschrittlichste, die aufgeklärteste, die friedlichste!?“ Daraus entstehen sehr kontroverse Diskussionen. Und wir müssen diskutieren, damit wir uns unserer Werte bewusst werden, vor allem unserer freiheitlichen und demokratischen. Und damit wir wissen, wie wir den Demonstranten von „Pegida“ entgegen treten können, die das „Abendland“ bedroht sehen. Was für ein Wort, das war ja fast in Vergessenheit geraten. Verblüffenderweise ist in Couperus‘ Roman immer wieder davon die Rede. Da wird die Hauptfigur oft „der Abendländer“ genannt. Und die „stille Kraft“ ist die Mystik des Morgenlandes.

Da steckt also ein gewaltiger Kulturkonflikt in diesem Satz, aber auch das: eine sehr schöne literarische Sprache: „… einmal, irgendwann einmal im noch weit entfernten Aufdämmern des Morgenrots der Zukunft.“ Auch deshalb bringen wir Louis Couperus auf die Bühne, damit alle diesen großen Schriftsteller entdecken können, den man auch „Thomas Mann der Niederlande“ nennen kann. In Holland lesen die Kinder Couperus in der Schule. In Deutschland kann man ihn jetzt wenigstens bei der Ruhrtriennale erleben. Und, wer will, danach miteinander diskutieren.

Johan Simons