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Nicht willkommen?

23. Jun. 2015

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Foto: Ruhrtriennale

Darren O’Donnell ist Regisseur, Performer und Gründer des kanadischen Künstlerkollektivs Mammalian Diving Reflex. Zusammen mit Mit Ohne Alles, dem Nachwuchs-Produktionsbüro der Ruhrtriennale, entwickelt er „Millionen! Millionen! Millionen!“, ein Stück das auf vielen Begegnungen von Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet und asylsuchenden Jugendlichen aus aller Welt basiert. Einer dieser asylsuchenden Jugendlichen ist Donald.

Einen Tag nach seinem 18. Geburtstag wurde Donald aus einem Heim für asylsuchende Minderjährige geholt – ohne Vorwarnung und ohne irgendwelche Informationen darüber, wohin er gebracht werden sollte. Ein paar Stunden später fand er sich in einer umstrittenen Einrichtung in Duisburg wieder, gegen die noch kürzlich von den Anwohnern protestiert worden war. Die wollen nichts zu tun haben mit diesen in Not geratenen Menschen. Als wir Donald am Nachmittag des nächsten Tages wieder trafen, um mit ihm auf seinen Geburtstag anzustoßen, erzählte er uns, dass er den Tag damit verbracht hatte, den deutschen Behörden bei der Kommunikation mit albanischen Familien zu helfen. Er war guter Hoffnung, dafür vielleicht ein bisschen Geld zu bekommen. Einen Tag später wurde Donald erneut, und wiederum ohne jegliche Vorwarnung, nach Trier gebracht. Die Nacht verbrachte er hungrig und frierend in einem großen Zeltlager mit dreißig anderen Männern. Unter Stress setzt ihn auch, in der Nacht all seine Habseligkeiten bei sich haben zu müssen, damit sie nicht gestohlen werden. Er weiß nicht, warum dieser erneute Umzug, wann der nächste stattfinden wird und wo er letzten Endes landen soll.

© Ruhrtriennale

Donald ist Asylsuchender in Deutschland. Warum weiß ich nicht, ich habe ihn nicht gefragt. Das war eine der Vereinbarungen mit der Gruppe asylsuchender Jugendlicher, mit denen wir an „Millionen! Millionen! Millionen!“ arbeiten. Das Projekt handelt nicht von ihren Geschichten, sondern von den Geschichten, die durch unser Zusammensein entstehen. Das Zusammensein mit Donald ist einfach grandios. Er ist voll von verletzbarem Wagemut. Die Akzeptanz seines Schicksals demonstriert er mit einem stolzen Schulterzucken: „In this moment, life is fucking me and it is doing it with pleasure, and I can do nothing. I haven’t another choice. I am not happy for that but I must accept it.“ („Gerade ist das Leben scheiße zu mir und ich kann nichts tun. Ich habe keine Wahl. Ich bin nicht froh darüber, aber ich muss es hinnehmen.“)

Mir wurde gesagt, dass die deutsche Regierung aufpasst, dass Asylsuchende es sich nicht zu bequem machen in Deutschland, sich nicht zu wohl fühlen und nicht irgendwelche tieferen Beziehungen zu den Menschen an den Orten aufbauen, an denen sie die Zeit absitzen. Deshalb werden sie so oft von hier nach da verschoben. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber das Vorenthalten von Informationen darüber, wo Donald hingebracht wird und warum, erscheint unnötig grausam. Irgendwer hat irgendwo aus bestimmten Gründen eine Entscheidung getroffen. Sie mag unverständlich oder unlogisch sein, aber sie beruht auf Gedanken, die sich jemand gemacht hat. Donald und andere in ähnlichen Situationen haben das Recht auf diese Informationen. Ein anderer Jugendlicher, mit dem wir arbeiten, hat uns erzählt, dass er nicht das kleinste bisschen darüber erfahren hat, wie das ganze Verfahren überhaupt funktioniert. Diese Jugendlichen sind im Dunkeln. Sie haben Angst, sind durcheinander und den hohen Preis ihrer seelischen Gesundheit zahlen wir alle, nicht sie allein. Egal, ob wir bereit sind, das zu akzeptieren, oder nicht: Auf lange Sicht hat ihr Leiden Konsequenzen für uns alle. Denn entfremdete, zornige junge Menschen werden wohl kaum zu Vorzeigebürgern, egal in welchem Land.

© Ruhrtriennale

Kürzlich ist die Regierung meines Heimatlandes Kanada dafür kritisiert worden, bezüglich der syrischen Flüchtlinge in Rückstand geraten zu sein. Hanns Thomä, der frühere Beauftragte der evangelischen Flüchtlingshilfe in Berlin-Brandenburg, schimpfte auf die kanadische Regierung, um im Gegensatz dazu Deutschland, mit 20.000 aufgenommenen Flüchtlingen in den ersten vier Monaten des Jahres, als Musterbeispiel darzustellen. Aber wie viele Asylsuchende ein Land aufnimmt, beantwortet nur eine von den drei wichtigen Fragen. Die anderen beiden sind: Wie gut werden die Menschen behandelt und welche Mechanismen greifen, um eine gesunde und produktive Verbindung mit der deutschen Bevölkerung zu ermöglichen. Ein Faktor hierfür ist die Situation in ihrem Herkunftsland: Der langsame Tod, den Armut und Arbeitslosigkeit in Albanien bedeuten, ruft nicht in gleichem Maße Mitgefühl hervor, wie das unbeschreibliche Leiden der Syrer. Aber die Sehnsucht nach einem besseren Leben ist die gleiche: die Sehnsucht, die im Angesicht eines Elends erwächst, das ausreicht, um Menschen von zu Hause zu vertreiben, weg von ihren Familien, und das Risiko auf sich zu nehmen, an einem Ort anzukommen, an dem sie die Sprache nicht verstehen, keine Freunde haben und kaum die Möglichkeit, zu verstehen, was mit ihnen passiert. Für mich ist diese Verzweiflung Qualifikation genug: Wenn du einfallsreich genug warst, um bis nach Deutschland zu gelangen und du bereit bist, die soziale Isolation zu ertragen und in kurzer Zeit unglaublich viel neues zu lernen, dann brauchen wir dich. Widerstandsfähige, engagierte und entschlossene Menschen sollten willkommen sein, in einem Land mit so rapide sinkenden Bevölkerungszahlen, unabhängig davon, ob sie dem Krieg oder „nur“ der Armut entfliehen.

© Ruhrtriennale

Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass alle, die zäh genug sind, hierher zu gelangen, hier auch willkommen sind, dann wären noch die anderen beiden Schlüsselfragen zu beantworten: Wie die Flüchtlinge behandelt werden und wie eine sinnvolle soziale Verbindung zwischen den Neu-Ankommenden und der deutschen Bevölkerung ermöglicht werden kann. Ein naheliegendes Mittel ist soziale und kulturelle Teilhabe. Donald hat sich dazu durch die Mitarbeit an unserem Projekt verpflichtet. Aber jetzt ist er weit weg und die Ausnahmen, zu denen wir bereit waren, um ihm die Teilnahme möglich zu machen, reichen nicht aus, um die Distanz nach Trier, wo er sich aktuell befindet, zu überbrücken. Jetzt kämpfen wir darum, Anwälte und guten Rat für ihn zu bekommen. Die anderen Jugendlichen sind traurig über den Verlust für die Gruppe und schimpfen über die Ungerechtigkeit des Ganzen, obwohl sie Donald erst vor zwei Wochen kennengelernt und erst drei Tage mit ihm verbracht haben. Das ist die Kraft des Kunst-Schaffens, die ganze Welten neuer Erfahrung und neuen Erlebens entstehen lässt. Pascal, einer der deutschen Jugendlichen, der nun drei Jahre mit uns zusammengearbeitet hat, erlebt – wie auch ich selbst – zum ersten Mal nur einen winzigen Bruchteil des Schmerzes durch Entwurzelung und Trennung. Es ist kein gutes Gefühl. Aber ohne das beschränkt sich unser Verständnis von der Not des anderen auf Gesten des wohltätigen Mitleids, anstelle von aufrichtiger Empathie. Nach nur einem Wochenende mit Donald nehmen wir alle Anteil an seinem Leid, es betrifft uns, und wir bemühen uns Donald zu helfen, um sein Leiden und unser eigenes zu beenden. Das ist wiederum ein Argument für Donalds weitere Teilnahme bei uns, die die deutschen Behörden als wertvoll anerkennen sollten – nicht nur für ihn selbst, sondern für die deutsche Gesellschaft als Ganze. Denn so lernen wir mit Differenz umzugehen. Es ist auch ein Argument für die Notwendigkeit künstlerischer Zusammenarbeit mit Menschen in Situationen wie jener, der Donald ausgesetzt ist. Damit sie, wenn ihnen Ungerechtigkeit widerfährt, nicht alleine sind. Wie Donald in unserer WhatsApp-Gruppe schreibt:

„Don’t you be sad for me. Nothing change. Street soldier never die. I never die. And I can’t lose. I am trying for the best to come to you. You are the only friends that I have. One for all and all for one.” („Seid wegen mir nicht traurig. Alles bleibt, wie es ist. Die Straßenkämpfer sterben nie. Ich sterbe nie. Und ich kann nicht verlieren. Ich versuche alles, um zu euch zu kommen. Ihr seid die einzigen Freunde, die ich habe. Einer für alle und alle für einen.“)
 

Darren O’Donnell