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Ein Stück, ein Satz – „Das Rheingold“

16. Jun. 2015

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Anfang Mai traf ich mich mit meinem Dramaturgie-Team, um an der Inszenierung für „Das Rheingold“ weiter zu arbeiten. Abends rief Sandra Hüller an. Als sie hörte, womit wir uns beschäftigen, fragte sie, ob wir schon an der Stelle seien, wo „die Klinze verklemmt“ werde. Sie meinte das im Scherz.

Aber wir hatten wirklich heute über diesen Satz gesprochen. Ich bin Holländer und habe nicht verstanden, was der Satz bedeutet. In der Szene soll die Göttin Freia mit Gold aufgewogen werden. Dafür werden Pfähle nach ihren Maßen eingerichtet. Ihr Körper wird mit Gold überschüttet, bis nichts mehr von ihr sichtbar ist.

Als man mir den Satz erklärt hatte, wusste ich zumindest, dass ich ihn gerne streichen würde. Mir gefällt die Idee, dass ihre Gestalt mit Gold aufgewogen wird. Aber die Art und Weise, wie das ausgedrückt wird, wirkt heute etwas umständlich. Im Schauspiel kann man Sätze streichen, in der Oper nicht. Das ist für jemanden, der aus dem Schauspiel kommt, manchmal ärgerlich, aber das sind die Spielregeln: Die Partitur ist heilig und damit das Libretto. Auch das Wort ist hier Musik. Aber das ist auch das Schöne an Musik: dass sie nur als Ganzes funktioniert. Nimmt man nur einen Ton aus einer Melodie heraus oder ersetzt den Ton durch einen anderen, ist es nicht mehr dieselbe Melodie.

Ich schätze Wagner als Komponisten sehr. Aber mit dem Dichter Wagner bin ich nicht immer einer Meinung. Das geht mir mit vielen Dichtern so, und ich bin froh, dass man als Theatermacher nicht immer allem zustimmen muss, dass man Texte immer wieder auf ihre Aktualität und Relevanz hin überprüfen kann. Aber im Schauspiel streicht man solche Sätze nicht unbedingt. Wenn man sich dazu entscheidet, nicht zu streichen, dann muss man einen Umgang mit dem Text finden.

Ein großer Schauspieler geht nicht über so eine Stelle hinweg und tut so, als ob er oder sie alles verstehen würde, was da gesagt wird. Ich bin mir sicher, deswegen fragt Sandra Hüller auch nach dieser Stelle. Wenn sie diesen Text sprechen müsste, würde sie sich dazu verhalten. Sie würde ausdrücken, dass man so einen Satz heute nicht mehr versteht, dass sie, die Schauspielerin, einem Text gegenübersteht, der heutzutage fremd wirkt. Man muss dem Text nicht immer dienen. Den Text zu würdigen, heißt, ihn auch zu befragen und sich an ihm zu reiben. Dadurch bleibt er frisch und aktuell. Das ist eine Möglichkeit, die man auch bei der Mise en Scène in der Oper hat, und das ist für mich die große Qualität von Theater, egal ob es sich dabei um Schauspiel oder um Oper handelt.

Johan Simons