Die Gabe der Kooperation

Claus Leggewie / Käte Hamburger Kolleg / KWI Essen

  • © Volker Wiciok
    (c) Volker Wiciok
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Während hier zu Lande viele nach einem gemeinsamen Essen auf getrennter Rechnung bestehen, übernimmt andernorts oft einer den gesamten Betrag. Er kann darauf rechnen, bei anderer Gelegenheit, auch in anderer Zusammensetzung der Tafelrunde, gratis davonzukommen, womit sich Ein- und Auszahlung am Ende idealerweise ausgleichen würden.

Die Einladung zum Essen ist eine verbreitete Form des Geschenks, mit dem man nicht nur etwas verausgabt, sondern auch etwas investiert und die Beschenkten mehr oder weniger zur Gegengabe verpflichtet. Zugleich stiftet das gemeinsame Essen etwas Drittes, Gemeinschaft vielleicht, gleichsam als würde man den Anderen mit  der einverleibten Speise in sich aufnehmen.

Soziale Kooperationen wie diese hat der Soziologe Marcel Mauss in seinem immer wieder aufgegriffenen Essay über die Gabe beschrieben. Für ihn waren sie Kern einer Sozialität jenseits der individuellen Nutzenmaximierung, in der auch Vergeudung, Verschwendung, Hingabe vorkommen. Der materielle Tausch ist Medium der symbolischen Herstellung und Festigung sozialer Beziehungen.

Heute ist der Gabentausch in der Regel auf den ökonomischen Warentausch geschrumpft.

Das Symposium des Käte Hamburger Kollegs und des Kulturwissenschaftlichen Instituts fragt, welches Potenzial die Gabe des Essens hat, vor allem im Blick auf die globale Kooperation in der Weltgesellschaft. Dazu widmet sie sich mehreren Aspekten der Gabe des Essens aus unterschiedlichen Perspektiven:

Sie betrachtet die „Formate“ des Essens im politischen, akademischen und geschäftlichen Leben, die versuchen, auf die Kraft der beim gemeinsamen Essen entstehenden Gemeinschaft zurückzugreifen. Dazu gehören etwa Dinner Speech, Brown Bag Lunch und akademisches Symposium.

Neben dem gemeinsamen Essen taucht die Gabe im Zusammenhang mit Nahrung aber auch in anderen Kontexten auf, wie etwa in der internationalen Lebensmittelhilfe, wenn tausende von Tonnen Lebensmittel in Krisen- und Hungergebiete geschafft und dort verteilt werden. Hier wird durch die Gabe des Essens eine höchst ungleiche Beziehung zwischen Empfangenden und Gebenden geschaffen, die strukturelle Ungleichheiten aufrechterhält.

Auch in hochentwickelten Industrienationen wird Essen nach wie vor als Gabe verteilt, in Deutschland nicht zuletzt durch die ebenso wirkmächtige wie umstrittene Bewegung der Tafeln. Insofern hier hauptsächlich Lebensmittel verschenkt werden, die ansonsten auf dem Müll gelandet wären, verschränken sich dabei die Themen der sozialen Ungleichheit und Armut mit Fragen der Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Neben der Verteilung der abgelaufenen Lebensmittel durch die Tafeln zeigt sich das Bedürfnis, der schier monumentalen Verschwendung von Lebensmitteln Einhalt zu gebieten, auch an der Praxis des „Containerns“: Durchaus auch an sozialem und ökonomischem Kapital reiche Personen bedienen sich dabei an den mit verwertbaren Lebensmitteln gefüllten Müllcontainern großer Supermärkte.

 

Impulsreferate:

Die gute Gegengabe. Annäherungen an eine gastrosophische Anthropologie

Harald Lemke (Internationales Zentrum für Gastrosophie Salzburg)

Eine zentrale Herausforderung der Gastrosophie ist es, die philosophische Anthropologie von ihrer traditionellen Fixierung auf den menschlichen ‘Geist’ zu lösen. Von Platon bis zur aktuellen Neurophilosophie entfremdet eine kaum hinterfragte Geist-Metaphysik den Menschen von seiner natürlichen Umwelt. Erst indem die Menschheit sich selbst von ihrer ‘Essistenz’ her — als ein der Nahrung bedürftiges Wesen — zu begreifen lernt, tritt ihre elementare Abhängigkeit von der Natur und deren planetaren Gaben in den Mittelpunkt: Dieser ununterbrochenen Nahrungsgabe verdankt der Mensch nicht nur seine physische Existenz, sondern auch seinen stolzen ‘Geist’. Aus der gastroanthropologischen Selbsterkenntnis, dass wir nichts anderes sind als die fortwährende Verstoffwechslung und Verkörperung dieser geistreichen Gabe, entsteht das ethische Gebot, die existenzielle Gegebenheit unseres essistenziellen Durch-Anderes-Selbst-Seins unsererseits dankend zu erwidern. Um der gebotenen dankbaren Gegengabe gerecht zu werden, brauchen die Menschen nichts weiter zu tun, als (im Geiste einer gastroethischen Gastfreundschaft) zum Wohle aller — gut zu essen.

Wer isst wo mit wem? Mit dem anderen essen statt den anderen zu essen

Schamma Schahadat (Universität Tübingen)

Theorien des Sozialen haben dem natürlichen Akt des Essens einen höheren Sinn zugeschrieben, indem sie Essen und Gemeinschaftsbildung miteinander verbunden haben. Georg Simmel zum Beispiel spricht von der „sozialisierenden Kraft des Essens“. Im Akt des Essens werden Fremde zu Freunden. Dabei reguliert der je spezifische Ort des gemeinsamen Essens Nähe und Distanz zwischen den Essenden. Essen ist mehr als ein physisches Bedürfnis: Essen ist ein kultureller und sozialer Akt.

Brown bags und tote Hühner – Oder wie man gemeinsam einsam und einsam gemeinsam is(s)t

Sebastian Schellhaas (Universität Frankfurt) und Mario Schmidt (Käte Hamburger Kolleg Duisburg)

Es scheint, als habe man im Essen eine besonders privilegierte Form der Sozialität stiftenden Gabe gefunden. Durch eine Gegenüberstellung des (vermeintlich) Gemeinschaft stipulierenden Brown Bag Lunchs mit dem (vermeintlich) anti-sozialen westkenianischen Gastmahl, bei dem Gästen große Mengen an Essen serviert werden, ohne dass der Gastgeber selbst am Mahl teilnimmt, soll dieser Gemeinplatz und damit verknüpfte Fragen zur Politik und Ethik des Essens diskutiert und hinterfragt werden. Ziel ist es, auf diesem Weg zu einem diversifizierten Verständnis der Verknüpfung von Essen und Sozialität im Allgemeinen und damit zu einem präzisieren Verständnis der „Gabe des Essens“ zu gelangen.

An der Tafel - Vom Umgang mit Überfluss

Stephan Lorenz (Universität Jena)

Zusammen an der Tafel zu sitzen, das reichliche Essen zu teilen und nach Herzenslust auszuwählen, ist ein Bild des Feierns, der Ausgelassenheit und des Wohlstands. Selbst am unteren Ende der Tafel herrscht kein Mangel. Und das Aufräumen nach dem Mahl übernehmen andere. Die mittlerweile zum gewohnten Stadtbild gehörenden Lebensmitteltafeln eröffnen dagegen einen Blick über den Tellerrand. Sie sammeln, was an Lebensmitteln übrig bleibt und verteilen es an diejenigen, die an der reich gedeckten gesellschaftlichen Tafel keinen Platz haben. Durch die gute Tat werden die Armen gespeist, aber einen eigenen Sitz an der Tafel erhalten sie (so) nicht. Was verbindet und was trennt der Überfluss? Sind Lust und Last des Überflusses für alle da? Mit welchem Recht wird gegeben und genommen?

Festmahl aus dem Müll: „Containern“ zwischen Retten, Jagen und Schenken

Christine Unrau (Käte Hamburger Kolleg Duisburg / Universität Köln)

Während die Ernährung von Müll in vielen Gegenden der Welt Ausdruck von äußerster Armut und Exklusion ist, erfreut sich das „Containern“ oder „Dumpster Diving“ im globalen Norden auch bei an kulturellem, sozialem und materiellem Kapital reichen Personen wachsender Beliebtheit. Sie holen weggeworfene, weil nicht mehr verkäufliche, Lebensmittel aus den Containern von Supermärkten und konsumieren sie. Diese Praxis untersucht der Beitrag in Hinblick auf drei Interpretationen, die von Praktizierenden und von Beobachtenden vertreten werden, nämlich Retten, Jagen und Schenken. Retten: Das Containern „rettet“ Lebensmittel vor der Verschwendung und damit – dem Anspruch nach –  auch die eigene Gruppe vor der Verstrickung in die Wegwerfgesellschaft. Jagen: Die gemeinsame nächtliche Suche nach Lebensmitteln und das Manövrieren in einer rechtlichen Grauzone bringt das Containern in die Nähe der Jagd als Urform der Nahrungsbeschaffung. Schenken: Der gemeinsamen Jagd  folgt auch eine gemeinschaftsstiftende Form des Essens, in der das gemeinsame Zubereiten, der Austausch und auch das Weiterverschenken von Lebensmitteln eine wichtige Rolle spielen.


Leitung —
Käte Hamburger Kolleg Global Cooperation Research Duisburg, Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Vorstellungen

Spielstätte
Termine
— 23. September
Eintritt frei

Anmeldung erwünscht —

September
  • Di23Sep
    14.00 - 18.00
    Die Gabe der Kooperation am 23. September 2014 um 14.00 Uhr