Harry Partch

Harry Partch, geboren in Oakland, Kalifornien, am 24. Juni 1901, gestorben in San Diego am 3. September 1974, war ein amerikanischer Komponist, Theoretiker, Instrumentenbauer und Musiker. Einen Großteil seines Lebens widmete Partch der Entwicklung und Etablierung eines alternativen Tonsystems zur gleichstufigen Stimmung, die er als ästhetisch unzulänglich empfand. Seine neue Herangehensweise an die reine Stimmung nannte er Monophonie (engl. monophony). In dem Wissen, dass traditionelle Instrumente und Musiker mit dem neuen System inkompatibel sein würden, konstruierte und baute er darüber hinaus neue, adaptierte Instrumente, entwickelte ein neues Notationssystem und unterrichtete darin Ensembles, wann immer es möglich war. Schon 1940 hatte er seine grundlegende Abneigung gegen die europäische Konzerttradition in sein Konzept des Korporealismus (engl. corporeality) umgesetzt, welches die körperliche und gemeinschaftliche Komponente seiner Musik betont.
Im Südwesten Amerikas aufgewachsen, bekam Partch schon in jungem Alter Klavierunterricht und spielte als Jugendlicher gut genug, um Stummfilm-Aufführungen in Albuquerque musikalisch zu begleiten. Bereits 1920 kehrte er nach Kalifornien zurück, wo er die nächsten 13 Jahre als Korrektor, Klavierlehrer und Violinist arbeitete. Während dieser Zeit begann er, bedingt durch die Entdeckung von Helmholtz' „Lehre von den Tonempfindungen", erste Nachforschungen in dem Bereich der Intonation anzustellen. Besonders Helmholtz' Vorliebe für die reine Stimmung beeinflusste ihn, ebenso wie A. J. Ellis' Untersuchungen zu experimentellen englischen Tasteninstrumenten aus dem 19. Jahrhundert. Er begann, mit der reinen Stimmung an Streichinstrumenten zu experimentieren und entwickelte die „Adapted Viola", indem er das Griffbrett eines Cellos auf einer Viola anbrachte und die entsprechende Position der Finger kennzeichnete. Dieses Instrument wurde 1930 während eines einjährigen Aufenthalts in New Orleans fertig gestellt. Bereits 1928 gelang ihm die Fertigstellung eines ersten Entwurfs seiner theoretischen Abhandlung „Exposition of Monophony", in welcher er die triadische Konsonanz erweiterte, um den 7., 9. und 11. Teilton einzubeziehen. Darüber hinaus setzte er eine symmetrische 29-tönige Oktavreihe - genauer gesagt, eine diatonische Skala - für die „Adapted Viola" fest. Mit Bezug auf die Notationsprinzipien der frühen Oper, auf Gluck, Mussorgsky, Debussy und Schönbergs „Pierrot Lunaire", weisen Partchs erste monophonen Werke eine rezitierende Stimme auf, die Sprechgesang in einer unexpressionistischen Art und Weise benutzt und von 1930-33 von der „Adapted Viola" begleitet wurde. Von Anfang an verwendete er Tonschritte außerhalb der gewählten Skala, um sich nicht selbst dogmatisch zu beschränken.
Um 1923/33 präsentierte Partch seine Werke in ersten Aufführungen. Bereits 1933 erweiterte er seine Skala auf 37 Schritte, nachdem er auch mit 39-, 41- und 55-tönigen Skalen experimentiert hatte. Das Manuskript zu „Exposition of Monophony" wurde fertiggestellt, dann jedoch bis in die 1980er-Jahre nicht mehr genutzt. Partch ging nach New York, wo er eine Förderungssumme für einen Forschungsaufenthalt 1934/35 in England gewann. Dort untersuchte er die Werke und Instrumente, über die er in der „Lehre von den Tonempfindungen" gelesen hatte, und traf sich mit Yeats, Arnold Dolmetsch, Dulac und Pound. Neben der neuen „Adapted Guitar" ließ er ein erstes Tasteninstrument, das „Ptolemy", in London bauen, das nach seiner Verschiffung nach Kalifornien jedoch aufgegeben wurde. Im Frühjahr 1935 kehrte er nach Amerika zurück und begann im Juni ein neunmonatiges Vagabundenleben in den Weststaaten, das später Thema seines sozio-musikalischen Tagebuchs „Bitter Music" wurde. Diese Erzählung über sein Leben auf der Straße und in staatlichen Arbeitslagern in der Ära der Großen Depression vermischt Ironie, Nostalgie und Homoerotik mit Zeichnungen und erweiterten Stimme-Klavier-Darstellungen von transkribierter Sprechmusik sowie noch komplexere Szenarien. Beinahe publizierte Partch die Erzählung 1940, versuchte jedoch später, alle existierenden Kopien von ihr zu vernichten; erst in den 1980er -Jahren tauchte sie wieder auf. 1941 befand sich Partch im Mittleren Westen, wo er sein Instrumentarium erneut erweiterte, indem er zwei Cordophone - die „Kithara", das „Harmonic Canon" - und das „Chromelodeon", hinzufügte. Darüber hinaus setzte er eine endgültige 43-tönige Skala fest und begann, für größere Ensembles zu komponieren. In den frühen 1940er-Jahren konzentrierte er sich auf Werke mit Americana-Texten, welche Inschriften von Trampern („Barstow"), die Rufe von Zeitungsjungen („San Francisco") und die Zugreise eines Landstreichers („US Highball") behandeln. Erste semi-offizielle Verbindungen zum universitären Bereich knüpfte Partch erstmals 1944-47 an der University of Wisconsin in Madison, seine unakademischen Sichtweisen wurden jedoch in dieser Zeit durch die ablehnende Haltung der musikalischen Fakultät bezüglich seiner Musik bestätigt.
Partch kehrte nach Kalifornien zurück und komponierte kleinere, von der Melancholie seiner ersten monophonen Musik durchflutete Stücke. Seine Abhandlung Genesis of a Music wurde 1949 veröffentlicht. In ihr verwirklicht Partch das System der erweiterten tonalen Raute (engl. expanded tonality diamond), das auf einer konsonanten Sechsergruppe basiert und eine ineinander greifende Reihe von gemeinsamen Tönen zeigt.
1950-51 arbeitete er eng mit dem Komponisten Ben Johnston zusammen und präsentierte 1952 die Originalversion von „King Oedipus" am Mills College in Oakland. Sein Ensemble „Gate 5" führte „Plectra and Percussion Dances" und das überarbeitete „King Oedipus" auf und spielte die beiden Werke für seine private Plattenfirma ein, die später ebenfalls „Gate 5" hieß. Diese Werke für große Ensembles weisen eine Mischung aus gesetzter Feierlichkeit und starkem Rhythmus auf, letzterer geht vor allem auf neue Perkussionsinstrumente zurück, die Partch entwickelt hatte: die „Diamond Marimba", die „Bass Marimba", die „Cloud-Chamber Bowls" und die „Spoils of War".
1956 zog Partch nach Urbana, wo Johnston an der University of Illinois lehrte, um „The Bewitched" zu produzieren: ein mimisches Drama, in dem eine „coloratura witch" eine Gruppe von „lost musicians" durch dichten Nebel führt. Die Premiere 1957 scheiterte fast an den Spannungen zwischen Partch und dem Choreografen Alwin Nikolais. 1958 arbeitete Partch während drei Filmen (bei Windsong, Music Studio und bei den darstellenden Szenen von „US Highball") mit Madeline Tourtelot zusammen. Danach kehrte er nach Urbana zurück, um „Revelation in the Courthouse Park" und „Water! Water!" zu komponieren und zu produzieren. Ein weiteres prägendes Ereignis in Urbana war Partchs Zusammentreffen mit Danlee Mitchell, einem Perkussionisten, der sein bevorzugter Musiker, Dirigent, Assistent, Sekretär und ein Freund fürs Leben werden sollte. 1962 kehrte Partch endgültig nach Kalifornien zurück.
Mit Ausnahme einiger weniger kleinerer Stücke war Partchs Musik seit den 1950er-Jahren wahrhaft korporeal: dramaturgisch intensiv, musikalisch vielseitig und für das Publikum mit voller Sicht auf die inzwischen 20 Instrumente und Musiker. Der Höhepunkt seiner theatralischen und musikalischen Ideen war „Delusion of the Fury", ein Zweiakter, in dem er zwei außereuropäische Mythen benutzt: Eine Sage des japanischen Nō-Theaters, die von einem Pilger auf der Suche nach Vergebung für einen von ihm begangenen Mord handelt, sowie eine afrikanische Geschichte von einem Streit, der von einem tauben und kurzsichtigen Richter geschlichtet werden soll. Das Werk beinhaltet einen Teil von Partchs schönster und kraftvollster Musik, während der vielschichtige Aufbau die Feinheiten ihrer Harmonien und Klangfarben hervortreten lässt. Madeline Tourtelot filmte die Produktion dieses Stückes 1969.
Obwohl Partch schon immer unter seiner schlechten Gesundheit gelitten hatte, nahmen seine mentalen und körperlichen Kräfte in den letzten zehn Jahren seines Lebens rapide ab. Er schaffte es, die Partitur zu „The Dreamer that Remains" niederzuschreiben: ein episodenhaftes, verwobenes Werk, gefüllt mit Erinnerungen an und Verweisen auf seine frühere Musik. Ein Jahr nach der Fertigstellung des Films starb Harry Partch an einem Herzinfarkt. Wie Ben Johnston bald nach dem Tod Partchs bemerkte, ist es äußerst problematisch, eine Musik zu erhalten, die so eng mit ihrem Erschaffer und dazu noch mit einem fragilen und einzigartigen Instrumentarium verbunden ist. Primäre Quellen zur Einstudierung und Rezeption der Instrumente und des Werks bleiben Nachdrucke von Original-Tabulaturen, Transkriptionen in konventionelle erweiterte Notenschrift, Aufnahmen und Filme - eine ironische Situation, wenn man bedenkt, dass Partch Zeit seines Lebens ambivalente Gefühle gegenüber Aufnahmen hegte.
Nichtsdestoweniger ist das Interesse an Partch seit seinem Tod stetig größer geworden und hat die Sichtweise, er sei weltfremd oder sogar misanthropisch, verdrängt. Seine Vielseitigkeit und besonders sein uneingeschränkter Gebrauch von sogenannter traditioneller außereuropäischer Musik haben die meisten post-seriellen Tendenzen vorausgenommen und als Vorbilder für Entwicklungen in den Bereichen Intonation, Akustikinstrumente und Klangfarbe gedient, auch wenn inzwischen Computer die feinen Stimmungen seiner Monophonie produzieren können. Er hat die hämmernde, motorisch-rhythmische Musik der Minimalisten der 1960er- und 1970er-Jahre beeinflusst und seine Theaterstücke sind Vorboten zahlreicher Experimente seit Mitte der 1950er-Jahre. Die Biographie Harry Partchs dient damit als Beispiel eines eigenwilligen, aber dabei immer den Menschen zugewandten Lebenswegs.

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