RuhrTriennale
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Probentagebuch »Westwärts«

von Cornelia Brüninghaus-Knubel

Schorsch Kamerun hat für seine Produktion Westwärts 150 Statisten um sich versammelt, um die Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck in einen »begehbaren Ausnahmezustand« zu verwandeln. Cornelia Brüninghaus-Knubel ist mit dabei und berichtet hier aus ihrer Sicht als Komparsin regelmäßig vom Fortschritt der Proben.

19. September

Generalprobe: da greifen allerhand Theater-Aberglauben, also auf keinen Fall Klatschen, und nicht danke sagen, wenn jemand toi-toi-toi zu dir sagt! Die Sonne scheint zwischen sechs und sieben Uhr, wenn wir die Halle betreten, wunderbar in unsere Industrie-Kathedrale. Es ist eine gute Stimmung. Ich glaube, alle identifizieren sich mit dieser Produktion und haben Lust mitzuwirken. Man lernt auch immer wieder neue Leute kennen, die einem bisher noch nicht über den Weg gelaufen waren, weil sie in einem ganz weit entfernten Bereich des Lagers eingesetzt sind. Oder die Bekanntschaften vertiefen sich und  man spielt sich aufeinander ein. Es wird aber nie zur starren Routine, dazu gibt es zu viel Offenheit im Detail, das wir selbst bestimmen können. Die ganze Aufführung hat vielmehr  Performance-Charakter, wie man es auch aus der Bildenden Kunst kennt. Grenzüberschreitung. Die Geschichte muss sich das Publikum erwandern, dazu kriegt es einiges geboten, zum Sehen und zum Hören, aber wahrscheinlich setzt sie sich erst in jedem einzelnen Zuschauer-Kopf ganz individuell zusammen.

Aber erst mal machen wir weiter, jetzt kommen die Vorstellungen auf uns zu, mit Brinkmanns Texten und Oesterhelts Musik – »die Postboten machen weiter, ...Tag und Nacht machen weiter..., und der Garten war verboten, ... und die Hunde waren verboten,  ... und die Klasse war verboten, ... und warum gehen die Dichter nicht in die Schule und schreiben Gedichte mit den Kindern...«.

Und die blonden Frauen gehen jetzt doch wieder zum Zähneputzen, aber die Hundehütten sind immer noch leer.

18. September

Die zweite Hauptprobe mit Publikum und Pressefotografen: wir haben Routine bekommen, es läuft wie am Schnürchen, die Zeit stimmt, und dennoch ist es jedes Mal ein wenig anders. Das ist von der Regie so gewollt. Wie gesagt, in festgelegten Strukturen spielen sich variable Handlungen ab, wenn z.B. unterschiedliche Gruppen von Ordnern und Autoritäten in die verschiedenen Hallenbereiche gebracht werden. So mischt sich die Lagergesellschaft immer wieder neu. Eigenartig, wie sich auch Realität und Theater  vermischen: Kostüm und Rolle verwachsen  schon etwas mit den Darstellern und immer wieder ertappt man sich dabei, anzunehmen, dass Bärbel und Brigitte auch im wirklichen Leben die Essensausgabe beim THW schmeißen oder dass der Supermarkt, dessen Kittel ich trage, die Getränke zur Verfügung stellt. Die Sanitäter sind aber wirklich »echt«.

Sehr gespannt waren wir alle, was die Freunde erzählen, die in den Proben nun den Blick vom Tunnel aus hatten. Den werden wir ja nie erleben und so ergänzen sich die Erfahrungen von innen und außen. Je mehr man darüber nachdenkt, verschiebt sich auch hier die Wahrnehmung, wer ist eigentlich innen und wer außen, das Publikum oder die Darsteller? Für alle scheint etwas aufzugehen, nämlich die Verbindung von Text, Musik und Raum, die eben nur scheinbar ohne Berührung nebeneinander herlaufen. Diese Parallelität erzeugt offenbar Berührungen, Beziehungsgeflechte und einen Reichtum an ganz persönlichen Assoziationen.

17. September

Nach der Schlusskritik bei der letzten Probe hat uns Kamerun trotzdem einen Tag freigegeben (kein Nachsitzen!) und heute kamen alle voll motiviert an, es besser zu machen. Dazu hing in jeder Garderobe eine Anweisung, was diesmal wie laufen soll, was wegfällt und anders gemacht wird. Wir prägen uns alles ein und ein bisschen aufgeregt sind wir schon. Vor allem gibt es ja zum ersten Mal Publikum, Freunde, Familie, Triennale-Personal, die wir »bitte nicht grüßen, und – genau – auch nicht winken oder so. Kann man ja verstehen und ist ja auch ganz nett, aber, das ist mal eine von unsern spießigen Anmerkungen, das geht nun mal nicht und sieht nicht so gut aus.« Ja, Schorsch, finden wir auch, ist doch klar.

Damit gehen alle an ihren Platz und tun das, was verabredet ist, im Materiallager gibt’s einige Umstellungen, die blonden Frauen putzen auch nicht mehr die Zähne, aber es gibt grundsätzliche Verabredungen, die eingehalten werden. Bei uns im Freizeitbereich klappt es auch ganz gut, jedenfalls gibt es keine Überschneidungen und wir können die verschiedenen Gruppen ordentlich betreuen.

Zeitlich kommen wir hin und nach zwei Stunden ist die Vorstellung exakt vorbei. Aber das Beste war, dass wir die Musik endlich live von der Band gehört haben, den Gesang und die Stimme von Sandra Hüller mit dem kompletten Text. Wir hatten bisher ja nur den Schlussmonolog gehört. Aber den spricht sie nun ganz anders. In den vorigen Versionen war sie eher wütend, exaltiert, – davon heute gar nichts, sie spricht ruhiger, fragender, so als ob sie sich wundert über all das Unsinnige, den Blödsinn der modernen Welt, auch traurig darüber, dass die einfachen Dinge so kompliziert geworden sind. So ist Brinkmann auch – faszinierend welche Bandbreite in den Texten ist und ebenso in der Darstellung von Sandra Hüller.  

15. September

Die erste Probe in dieser Woche beginnt früh am Abend, denn ab jetzt müssen alle in Kostüm und Maske erscheinen. Bewundernswert, wie die Kostümbildnerinnen alle nur möglichen Typen einer Zufallsgesellschaft modisch in Szene setzen. Manche haben ihre eigene Garderobe eingebracht, andere werden mehr oder weniger verwandelt. Mal genügt ein Accessoire, mal ein komplettes Outfit wie das der THW-Damen, der Radfahrer oder der Angestellten. In der Maske wird die Braut zu einer süßen Zuckerpuppe hergerichtet oder die Bürofrau bekommt eine strenge Hochsteckfrisur. Das Brot-Kostüm ist auch fertig und die Dekontaminierungsanzüge – knallfarbig und unförmig – warten auf ihren Einsatz am Ende des Stücks.

Die Musik kommt noch immer als playback vom Band, aber Sandra Hüller ist wieder dabei, spricht und singt O-Ton. Von den gesprochenen Prosatexten verstehen wir nicht so viel, weil der Ton in den Zuschauertunnel übertragen wird, aber von den Liedern sind wir alle begeistert, zart und poetisch überträgt sich die Musik auch in unsere Bereiche. Leider werden wir nie selbst erleben, wie das Akustische sich mit dem visuellen, der Szene, die wir selber darstellen, verbindet. Auf die Kommandos »die Schreibmaschinen machen weiter«, «die Regierung macht weiter« (Brinkmann Zitate!) wissen wir genau, was zu tun ist. Alles läuft wie einstudiert, denken wir, aber am Ende hören wir von einigen Komparsen-Kollegen, dass manches doch chaotisch war, zu lange gedauert hat, es dadurch zu Verzögerungen und Überschneidungen gekommen ist.

Theater ist ja eine Kunst, die sich in der Zeit entfaltet, besonders wenn sie mit Musik verbunden ist. Und Schorsch, immer freundlich und milde, kann am Ende doch nicht umhin, einmal streng zu kritisieren. »Warum lief das nicht so wie beim letzten Mal..., Ihr solltet doch..., wo blieben denn die..., was war denn los bei...« – allgemeine Betroffenheit, aber auch viele Lösungsvorschläge, Erklärungen und man merkte plötzlich, dass alle an einem Strang ziehen, das Stück zu unserem Stück geworden ist, dass alle Verantwortung dafür spüren.

Es ist schon etwas Besonderes, und für den Regisseur extrem kompliziert, diese Balance hinzukriegen, zwischen Konzept und Inszenierung, Geplantem und Improvisierten, zwischen Laien und Profis. Wie gebannt lauschen wir wieder dem großen Schlussmonolog, den Sandra Hüller, aus ihrer Glaskuppel heruntergestiegen in einem umwerfend eigenwilligen Kleid, in unserer Mitte spricht, schreit, verletzt und wütend, verzweifelt und verunsichert zwischen all den Feldbetten mit den ruhenden und schlafenden Menschen.

12. September

Heute hatten Uwe und ich Sonderprobe mit Schorsch Kamerun. Es ging darum, was in unserem Freizeitbereich geschehen soll. Am Ende des Gesprächs fühlen wir uns wohler, es ist uns einiges klar geworden. Vor allem, wie das aussieht, wenn man es aus der Sicht des Publikums sieht. Es ist gar nicht so viel Aktion nötig, viel geheimnisvoller sieht es aus, wenn ganz wenig passiert. Beim Durchlauf merken wir, dass alle Beteiligten besser aufeinander abgestimmt sind – bis zur Première in einer Woche werden wir schon immer sicherer. Im Prinzip soll auch einiges offen bleiben und nicht jede Handlung einstudiert sein, eher normal, natürlich wirken. Das Merkwürdige stellt sich dann durch die geplanten Ereignisse und den Blick aus dem Tunnelsystem von selbst ein: z.B. ist in den Hundehütten heute Heu ausgelegt. Und Agnes erzählt, als sie zu uns in Entspannungs-Therapie kommt, dass sie Tischtennisbälle waschen musste. Wenn das nicht seltsam ist!

10. September

Wir werden immer geübter, was unsere Betätigung in dem »begehbaren Ausnahmezustand« angeht. Jedesmal sind mehr Leute in ihren Kostümen zu sehen, die Radfahrer in ihren auffälligen Sportklamotten, ein Bergarbeiter, die Büroangestellten. Nur das Brot-Kostüm ist noch nicht ganz fertig. Der sehr große junge Mann wird es darin wohl ziemlich warm haben – und Yoga wird er darin auch nicht machen können! Und auch der Ablauf wird immer strukturierter. Vereinzelte neue Ereignisse werden geprobt, z.B. das »Plenum«, zu dem alle aus allen Ecken der Halle in den großen Mittelraum zusammenlaufen und von einigen Autoritätspersonen etwas vorgelesen bekommen. Was sie sagen, wird das Publikum gar nicht hören, aber jetzt  lesen sie einfach Texte von Brinkmann: » .... man sah einen Baum, der Baum war verboten, man sah ein Stück Himmel, der Himmel war verboten, .....« usw.

Irgendwie passt das zu dem Ausnahmezustand. Da stehen plötzlich einige von den Radfahrerinnen mit Handtüchern um den Kopf geschlungen – sie haben sich unter den Duschen die Haare waschen müssen. Es passieren also lauter banale, aber auch eigenartige Dinge, die das Publikum zwar wieder erkennt, aber deren Sinn es nicht entschlüsseln kann. So etwas steckt auch in den Brinkmann-Texten, eine Fremdheit, ein Unbehaust-Sein in unserer scheinbar so normalen Welt.

Heute hat Schorsch in seiner Eingangsansprache auch davon gesprochen, dass das ganze Lager auch so etwas wie eine Therapiestation sein könnte. Therapie zu welcher Heilung? Oder zur Bildung eines neuen Menschen? Oder zur Erprobung anderer Gesellschaftsformen? Auch als Statist kommt man ins Grübeln und fühlt sich erinnert an andere Kunstwerke, wo es um Utopien geht: Die Filme Metropolis, Fahrenheit 451 oder Brazil zum Beispiel.

Ach übrigens, was mit den Hundehütten passieren soll, habe ich immer noch nicht rausbekommen. Zwischenzeitlich hatten es sich Kinder darin bequem gemacht, aber heute waren sie ganz leer.

8. September

Nach einem freien Wochenende für uns Statisten, kam Schorsch Kamerun am Montag mit etwas strengeren Anweisungen für die große Gruppe auf uns zu. Er brauchte wohl auch die ersten beiden Proben, um zu sehen, wie sich die Menschenmenge in der riesigen Halle Zweckel  bewegt, wie das von außen, aus dem gläsernen Tunnelsystem heraus für das künftige Publikum aussieht.

Heute hat er dann sozusagen mit den Gruppen komponiert, hat von der Empore herunter Kommandos gegeben, hat präzisere Angaben gemacht, wer wann wohin soll und einige neue Ereignismomente eingebracht und ausprobiert. Der »Freizeitbereich« in dem ich tätig sein soll wurde heute noch nicht inszeniert, da hab ich ein bisschen Yoga geübt, was ich dann mit den gestressten Lagerinsassen anwenden kann. Die werden mir und Uwe, der so eine Art Psychologe sein soll, zur Therapie geschickt. Ich spreche mal mit den Kostümbildnerinnen wegen  des Rocks, den ich tragen soll. Wenn’s bei den Yogaübungen bleiben soll, wäre ja eine Hose praktischer.

Gedanklich bastle ich an meiner Rolle rum: vom Kostüm her bin ich eine Verkäuferin oder Supermarktkassiererin. Na, die kann ja in ihrer Freizeit Yoga machen (Rückenprobleme!) und deswegen von der Lagerleitung für diesen Bereich eingeteilt worden sein. Ansonsten lernt man sich nach und nach kennen, die netten Frauen aus dem Küchenzelt vom THW oder Beatrix mit ihrem Sohn aus Gladbeck oder Juan Pedro und Jürgen aus unserer Fahrgemeinschaft oder Edi aus Oberhausen, der dort am Theater schon lange Statisterie macht. Die Braut aus der Hochzeitsgesellschaft, die übrigens wirklich frisch verheiratet ist, fehlt heute. Sie trägt ein ganz üppiges weißes Brautkleid, das in der Menge sehr auffallen wird.

5. September

Heute war die zweite Probe mit allen Beteiligten, diesmal auch mit Musik und der Schauspielerin Sandra Hüller. Sie steht hoch über unserer Lagersituation in einem gläsern überkuppelten Pavillon. Zuerst sollen wir noch einmal dasselbe machen wie beim ersten Mal.

Die große Menge kommt also an in dem Haupt-Aufenthaltsraum, kleinere Gruppen begeben sich sofort in die Sonderbereiche Familie, Duschen, Freizeit, Garten, Küche. Einiges ist allerdings anders, denn in den letzten Tagen haben die »Autoritäten« und die »Ordner« gesondert geprobt und das merkt man: wenn man sie anspricht, reagieren sie ziemlich unangenehm und man weiß nicht, ob sie das wirklich ernst meinen. Die scheinen ihre Rollen schon richtig zu spielen, irgendwie verschwimmt  hier Realität und Theater. Einmal kommt es sogar zu einem richtigen Konflikt, als einige »Akrobaten« mal woanders hingehen wollen und die Ordner sie heftig daran zu hindern versuchen. Das gefällt dem Regisseur gut, als Spannungsmoment, obwohl sich das mehr oder weniger zufällig ergeben hat.

Ich selbst bin als Animateurin im Freizeitbereich eingeteilt und mache dort brav meinen Dienst. Da dort Matten auf dem Boden liegen, haben wir uns ausgedacht, dass wir den gestressten Lagerinsassen Entspannung bieten könnten, mit Yoga-Übungen und Massagen und psychologischen Gesprächen. Die Kinder können mit dem Psychologen auch Spiele spielen. Zu meiner Yogastunde kommen immer mehr und neue Leute. Das macht Spaß, wir lachen auch, und teilweise kommt es mir vor wie bei einem fröhlichen Sommerfest.

Aber ich frage mich, ob wir nicht doch etwas von der bedrückenden Situation spielen sollten, denn was es auch immer ist, das uns in diese Situation gebracht hat, angenehm ist sie bestimmt nicht. Man muss doch seine Wertsachen abgeben, man bekommt einen Fragebogen, ein unterschiedlich farbiges Armband, darf nicht ohne zu fragen irgendwohin gehen – da ist was von Kontrolle, Hierarchie, Zwang zu spüren. Und gefährlich ist es auch, denn plötzlich rennen einige in Arztkitteln rum und verteilen Medizin und Pflaster. Soll eine Epidemie verhindert werden oder werden wir ruhig gestellt?

Während all dem hören wir die Musik und den Gesang der Sandra Hüller leise, denn er wird in die Zuschauer-Gänge übertragen, aber nach eineinhalb Stunden strömt alles im Hauptraum zusammen und hört dem Schlussmonolog zu, den Sandra Hüller erst durch ein Megaphon spricht und dann, zunehmend wütender, ohne Verstärker schreit, den an der sinnlosen, banalen Gegenwart verzweifelnden Text von R.D. Brinkmann aus den 70er Jahren.

1. September

Zu dritt machen wir uns auf den Weg zur ersten Probe – alle sind gespannt, was auf uns zukommt, keiner kann sich so richtig vorstellen, was das für ein Stück sein wird. Und vor allem: was für eine Rolle werden wir in dieser riesigen Menge von 150 Statisten spielen? Wie wird die Regie das bewältigen?

In Zweckel angekommen, erst mal Erstaunen über die gute Organisation, ein Haufen netter Leute empfangen uns, leiten uns an die richtige Stelle, 10 Garderobencontainer beherbergen schon unsere Kostüme, einen Willkommensgruß der Triennale, Namensschilder. Erstes Kennenlernen. Ulrike aus Witten (die kommen wirklich aus dem ganzen Ruhrgebiet) sollte eigentlich ihren Hund mitbringen, »aber das machen die wohl jetzt doch nicht, ist zu kompliziert mit dem Tierschutz!« Viele haben ihre eigenen Klamotten in die Produktion gebracht, es soll ja ein Querschnitt durch die Bevölkerung sein. Und wirklich, es ist alles dabei, was einem in einer x-beliebigen Fußgängerzone begegnen könnte: Jung und Alt, dick und dünn, elegant und lässig, punkig und alternativ.

Dann kommt die Begrüßung in der Halle. Schorsch Kamerun und sein Team stellen sich vor inmitten der schon weitgehend fertig gestellten Dekoration, er nennt das »System«: es ist nämlich so, dass die Zuschauer für dieses Stück nicht an einem Platz sitzen, sondern sie werden gestaffelt ins »System«  von gläsernen Gängen eingelassen und können dann darin herumgehen und sich angucken, was drinnen abläuft – und das müssen wir spielen. Das interessiert alle am meisten. Schorsch erklärt also, wie er sich das gedacht hat. Ausgehend von Texten und Gedichten des Rolf Dieter Brinkmann aus dem Buch »Westwärts« , für die Carl Oesterhelt eine Musik komponiert hat und die von der Schauspielerin Sandra Hüller vorgetragen werden, hat er sich die Situation so gedacht: wir als Volk, als Menschenmenge sind aus einem nicht näher definierten Grund (Katastrophe, Aufstand, Vertreibung?) in dieser Halle zusammengebracht worden und nun entwickelt sich – oder wird es gelenkt? Von wem? – ein Zusammenleben, ein Warten, Tätigkeiten wie in einer Gesellschaft, die sich irgendwie organisiert. 

Die Zuschauer sehen diesem Treiben zu, ohne genau zu durchschauen warum und wieso. Das Geschehen spiegelt sozusagen das Lebensgefühl von R.D.Brinkmann. Ich habe mal ein Buch von ihm gelesen, das heißt »Keiner weiß mehr« – so ähnlich wird es dem Publikum auch gehen. Lauter banale gewöhnliche Handlungen, die aber wie rätselhafte Vorgänge wirken, weil man den Sinn nicht sieht.