RuhrTriennale
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Corpus delicti Von Juli Zeh

Uraufführung
Premiere:
15. September
Beginn:
20:00
Vorstellungen:
16., 18., 19., 22., 23., 25. September
Beginn:
20:00
Einführungen:
16., 18., 19. September
Die Einführung beginnt jeweils 45 min vor Spielbeginn
Preise:
einheitlich
25 €

»Eine unsichtbare Hand rupft dem Himmel die Federn aus. Eine junge Frau durchquert mit kleinen Schritten den Raum, eine übervolle Tasse in beiden Händen haltend. Es ist schön, das zu sehen. Es ist schön, das sehen zu können. Wir sind dabei. ›Wir‹ ist, wer immer zuguckt. ›Wir‹ ist, wer alles weiß. ›Wir‹ ist das kollektive Bewusstsein. ›Wir‹ ist überall. ›Wir‹ ist die Vogelperspektive. ›Wir‹ passt auf. Seid unbesorgt. ›Wir‹ ist bei euch. Ihr seid nicht allein.«
aus Corpus delicti

Jung, attraktiv, begabt und unabhängig: Das ist Mia Holl, eine Frau von dreißig Jahren. Man stellt sie vor ein Schwurgericht. Was wird ihr zur Last gelegt? Ein Zuviel an Liebe (zu ihrem Bruder), ein Zuviel an Verstand (sie denkt naturwissenschaftlich) und ein Übermaß an geistiger Unabhängigkeit (für sie ist Gott passé). In einer Gesellschaft, in der alles Komplexe zu kompliziert ist, reicht diese Innenausstattung aus, um als gefährliches Subjekt eingestuft zu werden.
Juli Zeh entwirft ein spannendes Science-Fiction-Szenario, in dem sie eine mythische Hexenfigur in einer Gesellschaft unserer nahen Zukunft abwirft, die sich ganz auf Gesundheitsvorsorge und -kontrolle verlegt hat. Partnerschaftsplanung, Bewegungspensum, Monatsvorsorge, Ernährungstabellen - der Körper wurde heiliggesprochen, die Seele musste gehen. An einer Frau, an deren Verlangen nach Sinn sich keiner messen lassen will, lässt sich leicht ein menschliches Drama durchspielen. Zumal sie an einem bestimmten Punkt ihrer Geschichte die reine, einfache Revolte hinter sich lassen könnte, indem sie die Verpflichtungen des Gesundheitsstaates zu übernehmen begänne. Und genau hier wird die Geschichte zum Justizdrama, in dem erst einmal geklärt werden muss, was das meint: das persönliche Wohl.
Tausend Jahre hindurch war die Hexe der einzige Arzt des Volkes. Von Roland Barthes stammt die Bemerkung, dass Hexerei nichts anderes war als die erste Medizin in einer Gesellschaft, in der die Beziehungen langsam verarmen: Als sie völlig entleert sind, triumphiert die Hexe.

Ein Auftragswerk der RuhrTriennale.