Zwischenzeit

Im Fokus der Ruhrtriennale 2018 standen die Perspektiven des Globalen Südens. In der Ausgabe 2019 untersuchen wir Aspekte europäischer Selbstkritik: Auf vielfältige Weise beschäftigen sich in diesem Jahr Künstler*innen mit der eigenen privilegierten europäischen Existenz. Dabei stellt sich die Frage: Wer darf wen in welchen Kontexten repräsentieren? Die Krise der Repräsentation entsteht aus der Erkenntnis, dass die europäische Demokratie immer auch schon eine rassistische Konstruktion war, die auf Macht und Privilegien beruht. Gleichzeitig ist es zwingend notwendig, die Idee der Demokratie zu verteidigen, sich mehr denn je für eine diverse, offene Gesellschaft und transnationale Öffentlichkeit einzusetzen und somit die Demokratie herzustellen, die es im Sinne von Gleichheit zu keiner Zeit gegeben hat. Der Raum dafür wird immer enger.

Aus diesem aktuellen Anlass entwickelt der Artiste associé Christoph Marthaler seine Musiktheater-Kreation über neuen Demokratieverlust, schockierende Exklusionspraktiken und nationalistische Ideologien. Vier weitere Arbeiten der Ruhrtriennale reflektieren das an Geltung und Deutungshoheit verlierende Europa. In der Jahrhunderthalle kreiert der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó mit der Musiktheaterproduktion Evolution in einer Auseinandersetzung mit György Ligetis Requiem musikalisch, szenisch und visuell einen Raum der Angst vor dem, was wiederkommt: „The beast comes back“ (Mundruczó). Jan Lauwers von Needcompany fragt sich in seiner neuen Arbeit All the good, die in der Maschinenhalle Zweckel Uraufführung feiert, welche Legitimation er als Weißer Künstler im interkulturellen Kontext hat. Heiner Goebbels betrachtet in seiner neuen Kreation Everything that Happened and Would Happen mit der Distanz eines Ethnologen die europäische Geschichte der Zerstörungen in starken Bildund Musik-Fragmenten. David Marton betreibt mit Henry Purcells Dido and Aeneas, remembered ein archäologisches Projekt, das nach Fragmenten europäischer Kultur gräbt. Viele der in der Ruhrtriennale 2019 arbeitenden Künstler*innen, unter anderem Christiane Jatahy, Faustin Linyekula oder Ofira Henig, erkunden in vollkommen unterschiedlichen Formaten die Auswirkungen jahrhundertelanger europäischer Dominanz auf heutige Lebensläufe, subjektive Erfahrungen, Wünsche und Vorstellungen. Marlene Monteiro Freitas zeigt auf PACT Zollverein ihre fulminanten Bacchae – Prelude to a Purge. Die umworbene israelische Choreographin Sharon Eyal wird die Uraufführung ihres neuen Werkes Chapter 3 im Rahmen der Ruhrtriennale feiern, ebenso wie der brasilianische Choreograph Bruno Beltrão.

Damit man auch die Krisen lustvoll er- und überlebt, trainiert der bildende Künstler Jonas Staal das Publikum für die Zukunft. Das Chorwerk Ruhr-Konzert ist Luciano Berio und Alessandro Striggio gewidmet. Auf zwei große Konzerte des Klangforum Wien mit dem Dirigenten Sylvain Cambreling darf man sich ebenso freuen wie auf die Fortsetzung der Reihe MaschinenHausMusik. Das Langzeitprojekt der Jungen Triennale #nofear wird fortgesetzt und erweitert. Third Space wird vom Künstler*innenkollektiv raumlaborberlin mit genüsslichen Ritualen des Miteinanders wiederbelebt; auch der Festivalcampus für internationale Studierende wird in eine neue Runde gehen.

Ich wünsche Ihnen und uns eine aufregende Festivalzeit!

Stefanie Carp
Intendantin der Ruhrtriennale 2018 2019 2020